Pfaffenhofen
Smartphone „als Pfand“ abgenommen

Amtsgericht verurteilt Kiffer wegen Nötigung eines 15-Jährigen – Für einen der beiden ist es die letzte Chance, bevor er in den Knast wandert

05.08.2022 | Stand 25.10.2023, 10:23 Uhr

Foto: Hartmann/dpa

Von Albert Herchenbach

Pfaffenhofen – Vor 600 Jahren wurden in Pfaffenhofen Menschen, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten, in den Pfänderturm geworfen. Daniel F., 24, und Julian S., 20, (alle Namen geändert) hatten sich für eine andere Methode entschieden, um an ihre Außenstände zu kommen. Unter Schlägen nahmen sie einem 15-jährigen Schüler, der ihnen 50 Euro schuldete, das nagelneue Smartphone „als Pfand“ ab. Das Handy wurde wenig später von der Polizei „ausgelöst“, die der Vater des Buben alarmiert hatte. Jetzt sitzen die beiden Schuldeneintreiber vor dem Schöffengericht – und müssen sich wegen Raub, vorsätzlicher Körperverletzung, Drogenbesitz und Verstoß gegen das Waffengesetz verantworten.

Die Freundschaft der Angeklagten ist offensichtlich in die Brüche gegangen, auch wenn sie einträchtig nebeneinander vor dem Richtertisch sitzen. Julian, der Jüngere, redet von seinem Banknachbarn als „Herr F.“ Der beschuldigt ihn, ebenfalls auf den Schüler eingeschlagen zu haben – auch wenn das sogar der Bub bestreitet.

Daniel F. hat ein Problem: Er steht mit einem Bein im Knast. Sechsmal ist er vorbestraft, steht unter offener Bewährung. Der Polizei ist er schon länger wegen Drogendelikten bekannt. Einmal fiel er einer Streife wegen des typischen Marihuana-Geruchs auf. „Ich ging einen Meter an ihm vorbei“, sagt einer der Polizisten als Zeuge, „da war das deutlich zu riechen.“ Bei Hausdurchsuchungen hatten die Beamten bei ihm Cannabis gefunden, eine Schreckschusspistole und ein verbotenes Butterflymesser. Wozu er das benötigt, fragt ihn Richter Franz Kugler. „Zum Schnitzen“, antwortet Daniel F. treuherzig. „Und dafür braucht man ein Springmesser“, staunt der Richter. Ja, sagt Daniel, das sei „halt schön, wenn’s so aufspringt“.

Kennengelernt haben sich die beiden Angeklagten über Freunde. Der Richter möchte Namen wissen, aber beide verweigern die Aussage. Aus gutem Grund: Die Spezl gehören dem Drogenmilieu an. Und das ist eigentlich auch das Einzige, was Daniel und Julian miteinander verbindet: Kiffen. Die Staatsanwaltschaft wirft Julian Drogenhandel vor. Die Ingolstädter Kripo hatte sein Handy ausgelesen und war auf einen Chatverlauf gestoßen, in dem der 20-Jährige von 25 Gramm Marihuana 15 zum Verkauf anbietet. Richter Kugler: „Von 660 Euro Azubi-Gehalt kaufst du dir eine solche Menge Marihuana?“ Immerhin zwölf Euro pro Gramm hat er dafür bezahlt. „Ich weiß“, sagt Julian zum Richter, „das hört sich sch… an, aber dann kommt’s billiger.“ Tatsächlich verkauft habe er allerdings zu keiner Zeit etwas. „Ich bin ein reiner Konsument.“ Für eine Verurteilung wegen Drogenhandels reicht denn auch eine bloße „Ankündigung“ nicht.

Julians Mutter sitzt hinten im Zuschauerraum und verfolgt die Verhandlung. Mit ihr, „meiner Mom“, habe es wegen des Kiffens immer Stress gegeben, sagt der Sohn. Letztlich haben ihn die Vorhaltungen nur noch genervt und er habe sich dem Familienleben mehr oder weniger entzogen.

Die beiden Angeklagten geben sich vor Gericht als geläutert. Julian erklärt, er habe seinen Konsum drastisch eingeschränkt, zünde sich nur noch drei- bis viermal in der Woche einen Joint an und habe sich bei der Drogenberatung angemeldet. Die Abschlussprüfung hat er versemmelt, aber sein Chef will ihm noch einmal eine Chance geben und ihn das dritte Ausbildungsjahr wiederholen lassen. Wenn das Gericht ihn aber jetzt zu einer Jugendfreiheitsstrafe verurteilt, war’s das.

Sein Mitangeklagter hat ein ähnliches Problem. An seinem Geburtstag habe er einen Schlussstrich unter seine Drogenkarriere gezogen, „den letzten Joint geraucht“ und sei seitdem clean. Er hat keine Ausbildung, aber jetzt einen Job gefunden. Steckt das Gericht ihn in den Knast, ist damit Feierabend.

Das Schöffengericht lässt den Vorwurf des Raubs fallen und verurteilt die Angeklagten wegen Nötigung. Es will keinem der beiden die Zukunft zu verbauen. Julian wird zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt, die er auch an Wochenenden ableisten könne. „Du brauchst Leitung und Unterstützung“, erklärt ihm der Richter, und gibt ihm vier Drogenscreenings und sechs Beratungsgespräche zur Auflage. Und auch wenn er nicht auf den 15-Jährigen eingeschlagen habe. Für den Straftatbestand der Nötigung reiche die bloße Anwesenheit.

Die achtmonatige Haftstrafe für Daniel F. setzt das Gericht „mit äußersten Bedenken“ auf drei Jahre zur Bewährung aus. Das sei der allerletzte Warnschuss, sagt Kugler. Außerdem muss der 24-Jährige seinem Opfer 750 Euro Schmerzensgeld zahlen und ebenfalls Drogenscreenings und Beratungsgespräche wahrnehmen. „Das kontrollieren wir“, droht ihm der Richter. Verstößt er gegen diese Auflagen, dann wird die Bewährung widerrufen – „und du sitzt die Strafe ab“. Noch im Gerichtssaal nehmen die beiden Angeklagten das Urteil bereitwillig an. Kein Wunder, denn es hätte deutlich härter ausfallen können.

PK