Von Albert Herchenbach
Pfaffenhofen – Wer damals noch zu jung oder vielleicht noch gar nicht auf der Welt war, für den hängen im Schaufenster von Peter Rieglers Druckerei an der Ingolstädter Straße einfach nur Plakate, die an die Olympischen Spiele in München vor genau 50 Jahren erinnern. Ältere allerdings erinnern die Poster an den Zeitgeist der frühen Siebziger, an eine Atmosphäre, sagt Riegler, „in der es die Möglichkeit gab, an eine bessere Welt zu glauben“. Auch deshalb hat er die Plakate aufgehängt.
Riegler war zur Zeit der Spiele gerade vier Jahre alt. Aber einer wie er muss nicht dabei gewesen sein, um zu spüren, was von diesen Plakaten ausgeht. „Sie berühren mich emotional.“ Oder anders ausgedrückt: „Wenn ich mir eine Zeit aussuchen könnte, in der ich gern leben möchte, dann wären das die Roaring Twenties, die wilden Zwanziger, oder die Siebziger.“
Der 54-Jährige ist in Pfaffenhofen geboren, hat das Druckerhandwerk in Dachau gelernt und sich vor 33 Jahren in der Kreisstadt selbstständig gemacht. „Ich habe ein Faible für Qualität“, sagt Riegler. Eben deshalb hat er grafische Gestaltung in sein Leistungs-Portfolio aufgenommen. Nicht verwunderlich, dass Riegler Mitbegründer des Neuen Pfaffenhofener Kunstvereins ist, für den er unter anderem die Standplakate für die Bilder-Ausstellungen auf dem Hauptplatz anfertigt. Und erst recht nicht erstaunlich, dass ihn die Plakate zu den Olympischen Spielen in München faszinieren.
50 mehr oder weniger „offizielle“ Motive sind im Umlauf, auf Internet-Börsen werden sie je nach Zustand für bis zu 600 Euro gehandelt. Aber vermutlich, meint Riegler, gibt es noch sehr viel mehr, weil sich Künstler aus aller Welt beteiligt haben. So unterschiedlich die Arbeiten auch sind – letztlich geht die Gestaltung zurück auf den legendären Grafik-Designer Otto „Otl“ Aicher, Gründer der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Er war der Gestaltungsbeauftragte der Spiele in München und damit zuständig für das optische Erscheinungsbild dieser Olympiade, deren Design und Gestaltungsrichtlinien er prägte – von den Uniformen der Ordnungskräfte über die Plakate bis hin zu den Parkscheinen. Auch das bis heute international verbreitete System von Piktogrammen als Wegweiser ist sein Werk. Für Riegler ist das die Königsklasse. „Die komplette Reduktion auf das Wesentliche, das ist die höchste Kunst: über die Meisterschaft zur Leichtigkeit zu kommen.“
Wer an die Olympischen Spiele von München denkt, der hat deren Farben vor Augen, die sich auch in Rieglers Schaufenster-Plakaten wiederfinden: das helle Orange, das pastellige Grün oder das abgetönte Blau. Die Farben hat Designer Otl Aicher der Natur abgeschaut. Am Kirchsee kurz vor Bad Tölz, sagte er einmal, könne man sie studieren.
Eine Farbe, weiß Riegler, war verboten – und auf seinen Plakaten ist sie auch nicht zu finden: das kräftige Rot. Das war die Farbgebung des Nationalsozialismus und der Hakenkreuz-Flaggen. Für Aicher ein absolutes No-Go. Er war mit den Geschwistern Scholl befreundet, den Widerstandskämpfern der Weißen Rose, deren Schwester Inge er heiratete. Auch deshalb war Aicher der ideale Mann, mit seiner Arbeit die Botschaft an alle Welt zu signalisieren: Deutschland ist ein Vierteljahrhundert nach dem Krieg anders geworden. Riegler: „Die Olympiade war ja nicht nur ein Münchener Ereignis, sie hatte bundespolitische Bedeutung. Die Spiele sollten das Gegenstück zur Olympiade von 1936 in Berlin sein, wo Leni Riefenstahl mit kämpferischer Ästhetik das Erscheinungsbild bestimmte.“ Die Fotografin und Filmregisseurin ließ sich vom Nazi-Regime für die Propaganda einspannen. „Jetzt“, sagt Riegler, „sollte Leichtigkeit transportiert werden.“
Insofern waren die Spiele nie unpolitisch. „Deutschland wollte das Bild der kriegerischen Nation revidieren, die mit Millionen von Toten so viel Elend über die Welt gebracht hat. Die Botschaft jetzt: Die Republik hat sich zu einer neuen, freien und transparenten Gesellschaft entwickelt.“ Dazu passt für Riegler, dass das Olympia-Stadion auf den Trümmerbergen des Zweiten Weltkriegs errichtet worden ist und zum „Einzug der Nationen“ nicht die Nationalhymnen erklangen, sondern leichte, beschwingte Stücke des Bigband-Leaders Kurt Edelhagen – ein Mix aus Folklore und Jazz.
An welchen Poster-Motiven erkennt Peter Riegler diese „neue“ Republik? „Es ist nicht das einzelne Motiv“, sagt der 54-Jährige, „es ist die Vielfalt. Jeder Künstler hinterlässt seine ganz individuelle Handschrift. Die Plakate zeigen den freien Geist.“ Eben den Geist der 70er mit seiner „wahnsinnigen Experimentierfreude“, die sich in allen Kunstrichtungen zeigte.
Riegler hatte die Plakate im Lauf der Jahre gesammelt und jetzt laminiert und aufgezogen. „Manche hatte ich doppelt“, erklärt er, „davon habe ich einige verkauft.“ Von den anderen wird er sich wohl nicht trennen. „Sie sind ein Stück Zeitgeschichte, sie haben Einfluss auf die Entwicklung der Bundesrepublik genommen. Eigentlich gehören sie ins Museum.“ Ehe sie möglicherweise einmal dort landen, kann man sie in Rieglers Schaufenster studieren.
PK
Zu den Kommentaren