Die Hopfenfahrer aus Isernhagen
Nördlich von Hannover lag einst ein großes deutsches Zentrum des Hopfenhandels

20.01.2025 |

Diese Postkarte aus Isernhagen um 1950 belegt den Reichtum der Gegend und zeigt markante Hopfenspeicher. Foto: Hopfenmuseum

Der promovierte Volkskundler Christoph Pinzl ist nicht nur Leiter des Deutschen Hopfenmuseums in Wolnzach, sondern auch begeisterter Sammler von Geschichten vom und rund um den Hopfen. Für das Hopfenmuseum schreibt er seine Geschichten, die er als Gastbeitrag immer wieder auch unserer Zeitung zur Verfügung stellt. In diesem Beitrag hat sich der Verfasser gedanklich auf eine Reise gemacht: zum Hopfenhandel bei Hannover.

Eigentlich gibt es den Ort Isernhagen gar nicht. Die Gemeinde mit diesem Namen besteht aus sieben Ortschaften, die alle ein gutes Stück auseinanderliegen. Deren Ortsschilder tragen eigenwillige Namen wie Isernhagen KB, Isernhagen NB, FB oder HB. Die Abkürzungen stehen für Kircher, Niedernhägener, Farster und Hohenhorster Bauernschaft. Was darauf hinweist, dass es sich seit langem um Ansammlungen von recht verstreut liegenden Bauernhöfen handelt.

Frühe Formen der Hopfen-Logistik



Was die Bauernschaften und die übrigen Isernhagener Dörfer lange Zeit vereinte, war der Hopfen. Weniger der Anbau. Der war hier im Norden von Hannover nie besonders heimisch. Aber der Handel mit Hopfen. Und die Lagerung von Hopfen. Und der Transport. Alles zusammen. Heute würde man so etwas Hopfen-Logistik nennen.

Es lässt sich nicht mehr herausfinden, was zuerst da war: Transportieren, Lagern oder Verkaufen. Der Name, den die Isernhagener Hopfenlogistiker führten, lässt vermuten, dass zuerst die Mobilität ins Spiel kam: Hopfenfahrer. Ihr Weg führte sie nicht selten Hunderte Kilometer weit weg, meistens Richtung Osten und Nordosten, überall dorthin, wo guter Hopfen wuchs. Anschließend transportierten sie den guten Hopfen in die Heimat, nach Isernhagen und lagerten ihn dort eine gewisse Zeit ein. Erst zum gegebenen Zeitpunkt fuhren sie ihn dann dorthin, wo man gute Preise bezahlte. Bisweilen wieder weite Strecken, wenn nötig auch sehr weite. In Flensburg und im dänischen Randers hatten sie deshalb auch eigene Stapelplätze für ihre Ware gepachtet.

Infos vom Nachfahren des letzten Hopfenfahrers



Dass wir heute überhaupt noch Genaueres über sie wissen, haben wir dem früheren Isernhagener Lehrer Kurt Griemsmann zu verdanken. Der kannte die Nachfahren der letzten Hopfenfahrer noch persönlich und ließ sich alte Dokumente zeigen wie Abrechnungs- oder Tagebücher. Griemsmann veröffentlichte Mitte der 1950er Jahre zuerst einen Aufsatz und 1973 in seiner Heimatchronik zu Isernhagen dann noch einmal ein längeres Kapitel zur Geschichte der Hopfenfahrer. Dort ließen sich zahlreiche Details nachlesen, deren Quellenherkunft Griemsmann jedoch einfach als „privat“ angab. Wann genau die Isernhagener mit dem Hopfengeschäft begannen, dazu weiß auch er keine Antwort. Der älteste Beleg stammt von 1447. Um 1700 waren um die 50 Hofstellen mit dem Hopfenfahren beschäftigt, wohlgemerkt in einem Ort, der nur aus ein paar Bauernschaften bestand. Nun wären die Aktivitäten der Isernhagener Hopfenfahrer schon interessant genug gewesen.

Markante Spuren in der Landschaft



Was sie für den geneigten Hopfenhistoriker heute so besonders macht, ist die Tatsache, dass sie markante Spuren in der Landschaft hinterlassen haben, die heute noch zu sehen sind. Dabei handelt es sich um sogenannte Hopfenspeicher, im Fachwerkstil erbaute Gebäude, von denen die ältesten auf die Zeit um 1550 zurückgehen. Auch wenn keiner der Speicher mehr im Originalzustand dasteht, hat sich wenigstens das Äußere oft noch recht authentisch erhalten.

Was genau in diesen Speichern passiert ist, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren. Man hat wohl Hopfen eingelagert. Aber wie? Hopfen ist bekanntlich ein empfindliches Pflänzlein Weshalb dann das Ganze? Weil Hopfenhändler schon immer auch Spekulanten waren, die wie an der Börse auf die Hopfenkonjunktur achteten, Angebot und Nachfrage genau beäugten und erst dann zuschlugen, wenn die Zeit reif war? Oder um einfach den Hopfenmarkt besser kontrollieren, Kunden zeitgenau beliefern, Einkauf und Verkauf besser voneinander trennen zu können? Mag sein. Aber warum die immer zweistöckige Bauweise? Und worin unterschied sich ein Hopfenspeicher von einem, in dem Getreide gelagert wurde? Gab es überhaupt einen Unterschied?

Das Hopfengeschäft war schon immer sehr lukrativ



Das alles wissen wir nicht. Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich sagen, dass das Hopfengeschäft lukrativ war und Wohlstand nach Isernhagen brachte: Um 1740 fiel das Steueraufkommen eines Hopfenfahrers doppelt so hoch aus wie das der besten Handwerksbetriebe vor Ort. Überall wusste man märchenhafte Geschichten zu erzählen wie die von den Erben eines Isernhagener Hopfenfahrers, die sich nach seinem Tod drei Tage lang einschlossen, um in Ruhe das viele hinterlassene Geld zählen zu können.

Jahrhundertelang scheinen die Hopfenfahrer gut gelebt zu haben. Doch das Zeitalter der Industrialisierung im 19. Jahrhundert brachte das Ende. Die Zentren des deutschen Hopfenbaus hatten sich ins ferne Bayern, nach Spalt, Hersbruck und in die Hallertau verlagert. Die Hotspots des Hopfenhandels hießen nun Nürnberg, Bamberg und Fürth, wo man das Hopfengeschäft in einer ganz anderen Größenordnung aufzog, als es die Isernhagener je vermocht hätten.

PK



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