Von der Kür zur Pflicht
Nachhaltigkeitsberichte werden Pflicht - doch für Lammsbräu ändert sich nichts

25.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:20 Uhr

Manchmal verpflichtend, manchmal freiwillig: Immer mehr Unternehmen veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte. Nun möchte die Europäische Union die Pflicht dazu deutlich ausweiten. Foto: Thyssengas/dpa

Von Jan-Lennart Loeffler

Viele Firmen müssen bald ausführlich über ihre Umwelt- und Sozialstandards berichten. Das verlangt eine EU-Regelung. Kritik kommt aus der Wirtschaft: Zu viel Bürokratie. Doch manche sehen die neuen Vorgaben auch als Chance.



Für die Brauerei Lammsbräu aus Neumarkt dürfte sich nicht viel ändern. Bereits seit 30 Jahren veröffentlicht der Bio-Pionier eigene Berichte zum Thema Nachhaltigkeit – obwohl er dazu nicht verpflichtet wäre. Nach den aktuellen Regelungen müssen nur Konzerne und große Firmen einen solchen Bericht über die Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Umwelt und Gesellschaft vorlegen.

Doch nun soll das beim Klimaschutz, sozialen Standards und einer guten Unternehmensführung für viele – auch kleine und mittelständische – Firmen zur Pflicht werden. Denn die EU-Kommission will für diese sogenannten ESG-Kriterien – englisch für „environment, social und governance“ – europaweit verpflichtende Standards setzen.

Kritik an Anforderungen

Das erklärte Ziel: Die Wirtschaft soll nachhaltiger werden. „Wir wollen eine Einheitlichkeit in den Berichtspflichten erreichen“, sagt Sven Gentner von der Europäischen Kommission. Gentner ist dort Referatsleiter in der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion. Dieses „Mehr“ an Nachhaltigkeit soll mit den neuen Standards erreicht werden. „Investoren, Banken und Kunden wollen diese Informationen“, sagte Gentner diese Woche bei einer Veranstaltung der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw).

Und weitaus mehr Firmen als heute müssten diese Informationen – von der CO2-Bilanz über Anti-Korruptions-Maßnahmen bis zum gesellschaftlichen Engagement – dann bereitstellen. Die Ausweitung der Berichtspflichten führt nach Schätzungen der IHK Regensburg für Oberpfalz/Kelheim dazu, dass statt deutschlandweit bisher circa 500 Unternehmen künftig wohl 15000 Unternehmen einen solchen Bericht erstellen müssen. Regionale Daten hat die Regensburger IHK dazu noch nicht.

Doch was bringt das den betroffen Firmen – außer mehr Aufwand? Einige Unternehmen würden durchaus Chancen sehen, sich „durch den Umfang und die Detailtiefe der Berichterstattung – sowie der Prüfpflicht – weitere Aufgabengebiete zu erschließen“, erklärt Dominique Mommers, Abteilungsleiterin International bei der IHK auf Nachfrage unserer Zeitung. Auch könnten solche Berichtspflichten „aus Sicht unserer Unternehmerschaft die regionale Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft befördern“. Aber die IHK-Abteilungsleiterin fügt hinzu: „Vorausgesetzt sie sind klar formuliert, mit einem ausreichenden Zeithorizont zur Umsetzung ausgestattet und der Unternehmensgröße angemessen.“ Daher wolle die IHK die aktuelle Entwicklung der Standards „eng und kritisch“ begleiten und fordert „eine praxisnahe Ausgestaltung“, die eine Verhältnismäßigkeit wahrt.

Die vbw in München hat ihre Zweifel daran, dass eine solche praxistaugliche Ausgestaltung gelingt: „Aus Sicht der bayerischen Wirtschaft sehen wir das sehr kritisch“, sagt vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt, der „einige gravierende Bedenken“ hat. Es gebe bereits etablierte Standards. „Wir sehen daher keinen Mehrwert bei viel Mehraufwand in einem eigenen europäischen Standard“, sagt Brossardt, der von Belastungen spricht, „die gerade in der Krise nicht zu schultern sind“. Die EU schieße über das Ziel hinaus.

Dem widerspricht Pascal Durand, französischer Abgeordneter im EU-Parlament und Experte für nachhaltige Unternehmensführung. Durand betont, wie wichtig es sei, den Kreis der Unternehmen zu erweitern: „Die Unternehmen brauchen diese Zahlen. Die werden von den Investoren verlangt.“ Ist zum Beispiel bisher erst ab 500Mitarbeitern ein Bericht verpflichtend, soll dies künftig ab 250 Mitarbeitern der Fall sein. Dabei gehe es laut Durand auch um Vergleichbarkeit – und zwar europaweit. Ohne die Ausweitung „schließen wir die kleineren Unternehmen vom Zugang zum Kapitalmarkt aus“.

Aber nicht nur Investoren, auch Kunden achten schon lange immer stärker auf ökologische und soziale Aspekte bei der Produktwahl – vom Fair-Trade-Kaffee bis zu E-Auto-Kauf. Die könnten in Zukunft noch mehr auf solche Kriterien achten, wie aktuelle Studien – unter anderem vom Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK – zeigen.

Doch wie gestaltet sich ein Reporting in der Praxis? Bei Lammsbräu in Neumarkt ist man angesichts der neuen Richtlinien entspannt: „Für uns als Bio-Pionier ist nachhaltiges Wirtschaften und die dazugehörige Berichterstattung schon sehr lange Unternehmensalltag“, sagt Silvia Wittl vom Nachhaltigkeitsmanagement der Brauerei. Bereits im Jahr 1992 habe das Unternehmen seinen ersten „Öko Controlling Report“ veröffentlicht und seine Nachhaltigkeitsberichterstattung seitdem stetig weiterentwickelt. Die Neumarkter dokumentieren ihre Aktivitäten derzeit schon nach den Standards der Global Reporting Initiative (GRI), deren Leitfaden weltweit zu den bekanntesten Richtlinien zählt. Auch wurden die Neumarkter schon vielfach für ihr Reporting ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutschen Umweltmanagement-Preis 2021 sowie einem Platz im Top-3-Ranking 2022 des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung.

Nachhaltigkeit gehört für die Bio-Brauer schon lange zur Unternehmensphilosophie. Das Ziel sei, „immer enkeltauglicher zu werden“, sagt Wittl. Dabei sei Transparenz für das Unternehmen sehr wichtig. Der Nachhaltigkeitsberichterstattung komme dabei eine zentrale Rolle zu: „Sie dokumentiert bis ins Detail für jeden nachvollziehbar unsere Ziele und wie weit wir schon sind.“ Aktuell ist das für kleinere Unternehmen eher ein Alleinstellungsmerkmal. Der kleinen Brauerei war es so gelungen, sich deutschlandweit einen Namen zu machen.

Keine Konkurrenzsituation

Stärkere Konkurrenz fürchtet man dennoch nicht, wenn sich nun mehr Firmen Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben (müssen). „Wirklich nachhaltig können wir nur gemeinsam sein“, sagt Wittl. „Deshalb ist es absolut zu begrüßen, dass immer mehr Unternehmen eine eigene Nachhaltigkeitsberichterstattung auf den Weg bringen.“ Für Lammsbräu wird sich vorerst ohnehin nichts ändern. Die neue Offenlegungsverordnung der EU dürfte für die Neumarkter nicht relevant werden, denn das Unternehmen wird wohl auch weiterhin nicht die Größe haben, ab der ein Bericht verpflichtend wird.