„Viele Gerüchte haben nicht gestimmt“
Wolfgang Haas bei den Heimatforschern mit alten und neuen Erkenntnissen

23.09.2023 | Stand 23.09.2023, 5:00 Uhr |

Blick in die Vergangenheit: Wolfgang Haas berichtete über seine Erkenntnisse zur Geheimfabrik im Hagenauer Forst. Foto: T. Floerecke

Wenn Wolfgang Haas von seinem lokalhistorischen Thema erzählt, dann wird der Raum zur anschaulichen, fundierten und zielgruppenorientierten Geschichtsstunde. So auch zuletzt bei den hobbymäßigen Familien- und Heimatforschern Schrobenhausener Land.

Der Saal im Gasthaus Felbermeier in Lampertshofen war wieder mal gut besucht, um die 80 Interessierte, davon viele Stammgäste, waren gekommen. Haag war zum zweiten Mal zu Gast bei den Heimatforschern. Seit 2000 gibt es den Verein, die Idee dazu und die erste Initiative kam seinerzeit vom Siefhofener Josef Ilg. Die sechste von acht Veranstaltungen dieser Art in diesem Jahr handelte von der geheimen Rüstungsfabrik Hiag im Hagenauer Forst vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren 107 Einzelbauwerken. Das waren vor allen Dingen neun größere Chemie- und Kraftwerksbauwerke, dazu zahllose Nebengebäude etwa für Rohstofflagerung, Wasserversorgung und Verwaltung. Alles auf einer Fläche von 60 Fußballfeldern. Der Produktionszeitraum für das Sprengstoffvorprodukt Pentaerythrit ersteckte sich auf 19 Monate bis zum Ende des Krieges.

Die gesamte Fabrik, berichtete Haas, war lange Zeit auch wirklich geheim. Das kann der Langenmosener unter anderem mit zahllosen, einst geheimen Rundschreiben der Gestapo aus dem Bundesarchiv in Berlin belegen. Auch, dass die US-Amerikaner erst mit der Besetzung Ende April 1945 genau erfuhren, was in der Hagenau versteckt war. Das weiß Haas aus Dokumenten des US-National Archive in Washington. Dort steht zum Beispiel, „dass die US-Luftaufklärung exakt wusste, dass hier ein getarnter Rüstungsbetrieb verborgen ist, aber es war weitgehend unbekannt, was produziert worden ist“.

Gezielte Recherche und Zufallsfunde

Das mit den Fundstellen ist bei Wolfgang Haas nicht uninteressant. Da gibt es viele, Woche für Woche findet der Langenmosener noch heute, nach acht Jahren, neue Detailinformationen. Wichtige Quellen waren einst das Bundesarchiv in Berlin, das CIA-Archiv in Langley/Virginia oder das historische Degussa-Archiv in Hanau. Oder die Weltkriegsarchive in England und Frankreich. Teils vor Ort, teils über digitale Bibliotheken. Auch in den Veteranendokumenten der US-amerikanischen Bomberverbände hat der 69-Jährige vieles über die Schrobenhausener Kriegsfabrik zur NS-Zeit entdeckt.

Und dann gibt es so manche Zufallsfunde. Zum Beispiel vor anderthalb Jahren in der Bibliothek des US-Kongresses. Darin ist die Rede, dass am 25 April 1945 in Schrobenhausen zwei Wehrmachtstruppen gleichzeitig auf der Flucht vor den US-Amerikanern waren. In Zahlen: etwa 8000 Soldaten und 800 Fahrzeuge, teils Lkw, teils Panzer, teils auf Pferden, teils zu Fuß. Noch so eine Entdeckung machte Haas vor zweieinhalb Jahren in US-amerikanischen Veteranenforen mit den originalen Tagebucheinträgen des US-Luftwaffen-Geschwaderführers Captain William P. Morton (wir berichteten seinerzeit ausführlich): Am 26. April 1945 waren 23 Flugzeuge mit 92 Stück 1000-Pfund-Bomben von Belgien aus auf direktem Weg nach Schrobenhausen, um die Rüstungsfabrik zum zweiten Mal zu bombardieren. Gleichzeitig. Im Verbund. Zu dieser Bombardierung kam es letzten Endes jedoch nicht.

Kein Giftgas, keine Geheimwaffen

Auch um Gerüchte aus der damaligen Zeit ging es an diesem Abend in Lampertshofen. Haas konnte den wesentlichen davon „den Wind aus den Segeln nehmen“, sie fundiert widerlegen. Erstens, dass hier Giftgas produziert worden sei. Haas begründete: „Die dafür erforderlichen Hochsicherheits-Anlagen für Chlor oder Fluor und Granatenfüll-Einrichtungen hat es in Schrobenhausen nie gegeben.“ Oder dass Treibstoff für Wernher von Brauns Raketen produziert worden sei. Diese empfindlichen Chemikalien, sagte der Langenmosener, hätten den weiten Transport nach Peenemünde nicht schadlos überstanden.

Zwangsarbeiter eingesetzt

Auch die Zwangsarbeiter (zu Beginn der Produktion um die 300, später 210) seien nicht schlecht behandelt worden. Haas belegte es mit eigenen Rechercheergebnissen aus den einschlägigen Zwangsarbeiter-Archiven und vielen zusätzlichen Erkenntnissen von Schrobenhausen-Kenner Bernhard Rödig aus dem Jahr 1995. „Jeder von ihnen bekam am Tag und pro Schicht eine warme Mahlzeit, jeder wurde entlohnt, jeder hatte die Möglichkeit, das Werksgelände außerhalb der Arbeitszeit beliebig zu verlassen, jeder bekam Schutzkleidung wie Handschuhe, Brillen, Atemmasken, jeder durfte die Waschräume mit Duschen nutzen, es gab Schlafräume auf dem Werksgelände.“

SZ



Artikel kommentieren