Angekommen in ...
Shahram Tabrizi und sein zweites Zuhause

Der Chefarzt am Schrobenhausener Krankenhaus lässt Einblicke in sein Leben zu

30.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:06 Uhr

Mit seinen Söhnen Emil (r.) und Raphael verbringt Shahram Tabrizi gern seine Freizeit, unter anderem beim gemeinsamen Angeln. Foto: Budke

Schrobenhausen – „In München habe ich in einem Wohnblock gewohnt, wo man noch nicht mal seinen direkten Nachbarn kennt“, erzählt Shahram Tabrizi aus seiner Zeit als Arzt im Praktikum (AIP) an der Uniklinik, „dann habe ich dieses Familiäre, die Nestwärme und die Wertschätzung am Krankenhaus in Schrobenhausen kennengelernt und habe hier wirklich Freunde fürs Leben gefunden – deshalb ist das für mich ohne Übertreibung mein zweites Zuhause.“

Als Assistenzarzt kam er 2005 an das Kreiskrankenhaus. Er ist überzeugt, dass er seinen weiteren Werdegang diesem besonderen Zusammenhalt zu verdanken hat. So führte ihn sein Weg über den Oberarzt und den leitender Oberarzt der Inneren Abteilung in die Akutgeriatrie, die 2015 in Schrobenhausen neu aufgebaut wurde. Seit Januar 2021 ist Tabrizi Chefarzt der Akutgeriatrie.

Sein erstes Zuhause gehört zu einem anderen Kontinent: Tabrizi ist in Persien geboren, dem heutigen Iran und zwar in der Hauptstadt Teheran. 1986, als er 14 Jahr alt war, reisten seine Eltern mit ihm und seinem vier Jahre jüngeren Bruder über die Türkei nach München aus: „Im ersten Iran-Irak-Krieg gab es die Anweisung seitens der Regierung, dass Jungen ab 16 Jahren nicht mehr das Land verlassen dürfen und damit nicht vor dem Wehrdienst und dem Krieg flüchten konnten“, erklärt Tabrizi. Seine Eltern waren mit dem herrschenden Regime ohnehin nicht einverstanden, und das, obwohl die Familie in Persien einen gehobenen Lebensstandard pflegte: „Mein Vater war Finanzprüfer und meine Mutter war Fremdsprachensekretärin.“

Mit der Ausreise wurde das große Haus in eine kleine Zweizimmerwohnung getauscht. Die beiden Brüder schliefen auf der Ausziehcouch im Wohnzimmer. „Ich habe verstanden, warum wir das Land verlassen haben“, sagt Tabrizi, „ich habe ja den Krieg mitbekommen und kann mich als Zehn-, Elfjähriger an Bombenangriffe erinnern, auch in der Nähe von unserem Haus. Das sind Dinge, die man nicht vergisst.“

In München fuhr sein Vater zunächst Pizza aus, seine Mutter arbeitete in einem Kaufhaus am Karlsplatz. „Im Keller acht Stunden an der Kasse und nicht eine Minute Tageslicht“, so hat es Tabrizi als Jugendlicher miterlebt. Er weiß: „Meine Eltern haben ihren Lebensstandard aufgegeben und waren auch hinsichtlich Sprache und Kultur in Persien glücklicher als in München.“

Deshalb wollte er von Anfang an alles dafür tun, dass seine Eltern ihr Opfer nicht umsonst gebracht hatten. Er ging aufs Asam-Gymnasium in München und schaffte die siebte Klasse im ersten Anlauf, obwohl er kaum Deutsch und Englisch konnte. „Eine Schilderung über einen Herbstspaziergang zu schreiben, das war unmöglich“, erinnert er sich. Um die Sprache zu lernen, las er viel: „Die ersten Bücher habe ich gar nicht verstanden, aber nach und nach und mit deutschem Fernsehen ging das immer besser.“ Außerdem war er – trotz einiger Hänseleien – von Lehrern und Mitschülern gut aufgenommen worden. Mancher Freundschaften halten bis heute.

Im Bio-Unterricht faszinierte ihn der menschliche Körper so sehr, dass er Medizin studierte. „Mein Helfersyndrom ist ja bekannt, das hatte ich schon als Kind“, sagt er lachend. Nach dem Studium an der Ludwig-Maximilian-Universität kam er an die Uniklinik, fuhr nebenbei Taxi und gab Nachhilfe in Mathe und Physik. Weil seine spätere Frau damals in Manching lebte, bewarb sich Tabrizi in Schrobenhausen, und das erwies sich für ihn bis heute als Glücksfall. Er fühlte sich von Anfang an wertgeschätzt – sowohl am Krankenhaus in Schrobenhausen wie auch am Wohnort Brunnen und später Waidhofen.

Neben seinen Tätigkeiten als Chefarzt der Akutgeriatrie sowie als Notarzt ist Tabrizi seit der Kommunalwahl 2020 auch im Kreistag und hat das Amt des Gesundheitsreferenten übernommen. „Auch in der Politik habe ich viele Freunde gefunden“, sagt er. Ganz schon viel Programm. Tabrizi nimmt das gelassen. Zeit, um die Welt zu bereisen und die Füße hochzulegen habe er auch noch in 15 Jahren. Jetzt sind ihm erstmal seine Aufgaben wichtig: „Die Mischung, die Altersmedizin vorwärts zu bringen in Kooperation mit der Uniklinik Augsburg und den Hausärzten gepaart mit der politischen Funktion, das macht mir sehr viel Spaß.“

Das ganze Team im Krankenhaus ist ihm sehr ans Herz gewachsen: „Selbst wenn ich Urlaub habe, vermisse ich diesen Laden und komme hier rein“, erzählt er und lächelt.

Seine Freizeit genießt er dennoch intensiv, ob beim Sport mit Kollegen, im Tennisverein oder mit den Söhnen, mit denen er auch gern angeln geht. Sowieso habe er in Waidhofen und Schrobenhausen einen „viel entspannteren Alltag als in der Stadt“. Im Garten hat Tabrizi ein paar Hühner: „Das Idyllische, das gefällt mir und das genieße ich sehr.“ Er ist angekommen.

SZ