Neuburg
Sepp Egerers „Grattler-Oper“ bringt im Rödenhof-Saal eine Arme-Leut‘-Geschichte auf die Bühne

27.03.2023 | Stand 17.09.2023, 0:25 Uhr
Josef Heumann

Die Darsteller der Grattler-Oper mit Sepp Egerer (3. v.r.). Foto: Heumann

Ja, die guate oide Zeit oder das Revival eines Kult-Stücks. Schade nur, dass es auch schon wieder vorbei damit ist. Tausendsassa Sepp Egerer hat die „Grattler-Oper“ zu neuem Leben erweckt, ganz so, als wäre seit ihrem Entstehen vielleicht fünf Jahre und nicht fast ein halbes Jahrhundert schon vergangen.

Aber genau das war das erklärte Ziel: Dem Original in all seiner Ursprünglichkeit ganz ganz nahe wieder zu kommen. Fast wollte man sagen: in all seiner Urkraft. Die vor 45 Jahren natürlich noch eine ungleich gewaltigere war. Gerhard Loew hatte, kongenial durch die Musik von Peter Michael vervollständigt, was gänzlich Neues, so jedenfalls schon lange davor nie mehr Dagewesenes geschaffen, wenn man so will ein neues Theater-Genre erfunden, wofür sich der Begriff vom Blues-Musical eingebürgert hat. Wobei wirklich ein Blues die wenigsten Musiknummern sind. Im Grunde knüpft die Grattler-Oper da an, was bei Johann Nestroy geraume Zeit früher seine schönste erste Blüte schon erfuhr: bei der Posse mit Musik.

Wirklich neu und gründlich anders zu dem Zeitpunkt, Ende der 70er-Jahre, war, dass plötzlich und endlich das Volkstheater wieder ernst genommen wurde und dass es ansonsten ziemlich runtergekommen war, reichlich verblöde(l)t war anstatt verderbt, voller Klischees anstatt echter Komik, Typen bestenfalls auf die Bühne stellte anstatt Charaktere. Die Iberl-Bühne, damals noch in München-Solln und noch weniger kommerzialisiert, war fast so was wie die Pilgerstätte fürs neue Volkstheater, das sich auch nicht scheute, noch die eigenen Stereotypen gnadenlos auszukosten und den Schmäh am liebsten dort, wo’s gerade am wenigstens passt, auf den Gipfel zu treiben. Wohl nur auf dieser bereits ausgebrachten Saat konnte die Grattler-Oper auch entstehen, ein Volksstück mit Couplets, grimmig, triefend schnulzig und ausgestattet mit bitterstem Witz.

Es ist eine Arme-Leut‘-Geschichte, bei den Grattlern eben, die die Großkopferten nicht schont, vor satter Wilderer-Romantik nicht scheut und wo in bester Iberl-Tradition Raum auch mal Raum für einen reichlich schrägen Vogel ist. Pasolini heißt er hier, einer mit, korrekt formuliert, gleich mehrfachem Migrationshintergrund, Artverwandter von Johann Nestroys Lumpazivagabundus, womit Pasolinis Vita auch gleich vollumfänglich durchdekliniert wäre. Natürlich gehört ihm alle Sympathie seines Autors, der jungen Marie auf der Bühne wie des gesamten Publikums im Rödenhof-Saal. Wie anders auch, ist dieser Lebenskünstler, Wortakrobat, Pfiffikus in allen Gassen und Hinterhöfen einem Sepp Egerer wie auf den Leib geschrieben.

„S’is oiwei scho so gwen“ singt der alte Fischlechner in der Oper. Die armen Leut‘ trifft es halt am ärgsten. Das Buckeln haben sie gelernt, und jetzt ist auch der Bua noch beim Wildern erschossen worden. Die Spatzen schreien es vom Dach: Ein Unfall war das niemals. Der Ton wird immer rauer, der Zwist mit der Obrigkeit spitzt sich zu. Das alles klärende Ende kommt dann doch ein wenig plötzlich.

Der Wow-Effekt, die Überwältigung, die Sensation von vor 45 Jahren stellen sich heute so natürlich nicht mehr ein. Das bairische Singspiel ist Starkbierproben-tauglich geworden. Vielleicht ist die Grattler-Oper heute ein ziemlich gewöhnliches Volksstück geworden, aber eins mit ganz vielen Qualitäten. Und die lebt die liebevolle, treuherzig stückvernarrte und so detailbesessene Inszenierung Sepp Egerers genüsslich aus. Egerer bringt satte Charaktere auf die Bühne, beweist Gespür für Stimmungen und Rhythmus, und gibt Autor Loew seinen Figuren allesamt eher zu viel mit, schwächt Egerer davon gewiss nichts ab.

Mit Harald Edelmann und Stefan Glückstein hat er zwei Iberlbühne-erprobte Profis mit im Boot, in Sissy Schafferhans und Klaus Buckl zwei der stärksten Vertreter der lokalen Volkssänger-Szene – auch so ein rar gewordenes Genre – mit sich selbst und seiner Frau Kerstin zwei Alpha-Theatertiere sowieso. „Die brotlosen Künstler“ bilden höchst lustvoll das fünfköpfige Opernorchester, ihr facettenreiches Spiel ist ein Erfolgsgarant extra.

DK