„Jeder Handgriff muss sitzen“
Der Fall Sinzing beschäftigt auch die Schrobenhausener Stützpunktfeuerwehr

25.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:44 Uhr

Höhenrettung mit der Drehleiter ist alles andere als einfach, daher übt die Schrobenhausener Stützpunktfeuerwehr diese schwierigen Einsatzszenarien immer wieder. Seit dem Fall in Sinzing, wo eine Frau bei einer solchen Rettung ums Leben kam, noch deutlich öfter. Foto: M.Schalk

Ein missglückter Rettungseinsatz in Sinzing beschäftigt auch die Feuerwehrleute in Schrobenhausen. Fast jeden Monat einmal müssen auch die Leute von Kommandant Ralf Schlingmann auf Bitten von Sanitätern mit Hilfe der Drehleiter Menschen aus ihren Wohnungen abholen.



Über die konkreten Details eines Rettungseinsatzes in Sinzing am 29. Juli vergangenen Jahres in der Oberpfalz möchte sich Schlingmann nicht äußern. Es liege ihm fern, eine Beurteilung vorzunehmen, ob seine Kollegen von den Feuerwehren Lappersdorf und Kleinprüfening etwas falsch gemacht haben könnten, als sie versucht hatten, eine 75-jährige Frau über ein Dachfenster aus ihrer Wohnung im zweiten Obergeschoss zu bergen. Die Frau war damals aus der mit einem Seil an der Drehleiter befestigten Schleifkorbtrage gerutscht, fünf Meter in die Tiefe gefallen und an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben.

Schrobenhausener Feuerwehr verändert Übungsbetrieb



Seit Jahresbeginn ermittelt die Regensburger Staatsanwaltschaft gegen acht Feuerwehrleute wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Die erste Maßnahme, die Schrobenhausens Feuerwehrkommandant Ralf Schlingmann nach eigenen Worten ergriffen hatte, als der Fall im Feuerwehrkreisen bekannt wurde, war, den Übungsbetrieb zu verändern. „Wir haben so etwas früher schon oft geprobt“, sagt Schlingmann, aber in der Situation sei der Schwerpunkt des Übungsbetriebs auf die Höhenrettung gelegt worden.

Patienten abholen kommt immer häufiger vor

Eine Trage in der Höhe an einem Seil an der Drehleiter zu befestigen, sei eben keine einfache Sache. Da müsse jeder Handgriff sitzen, ist sich Schlingmann, der seit 40 Jahren in Schrobenhausen aktiven Feuerwehrdienst leistet, sicher. Alle seine Löschmeister und die Maschinisten, die das Sondergerät Drehleiter in Einsatzfällen fehlerfrei bedienen müssen, würden auf dem neuesten Stand des Falles gehalten.

Denn für Schlingmann steht eines fest: „Feuerwehr ist ein Handwerk, und ich muss mein Handwerk lernen, um es zu beherrschen.“ Darum gehe es im Falle eines Falles. Letztendlich sei auch der Einsatzleiter an Ort und Stelle verantwortlich dafür, dass jeder Handgriff korrekt ausgeführt werde. Doch ist das im Falle einer Krankenbergung überhaupt möglich? Auch daran lässt Schlingmann keinen Zweifel aufkommen: „Bei einem solchen Einzeleinsatz ist das machbar.“ Schwieriger werden könnte das schon bei einem größeren und komplexeren Einsatz.

Fast im monatlichen Rhythmus rücken Schlingmann und seine Leute aus, um mit der Drehleiter Menschen aus ihren Häusern zu bergen. Etwa zehn Einsätze solcher Art, zu denen die Stützpunktfeuerwehr durch den Rettungsdienst hinzugerufen werde, gebe es, schätzt Schlingmann. „Wir werden solche Einsätze weiterhin fahren“, sagt Schlingmann mit Blick auf die Ermittlungen in der Nähe von Regensburg. Natürlich machten er und seine Kameraden sich über diese Entwicklung Gedanken. Doch im Einsatzfall müsse das ausgeblendet werden. „Wenn ich als Feuerwehrmann Angst hätte, müsste ich mir einen anderen Job suchen“, sagt Schlingmann. Bei jedem Einsatz gehöre eine deutliche Portion Respekt vor der jeweils anzutreffenden Lage dazu. Das sei nicht immer einfach, schließlich würden Feuerwehrleute fast immer zu Situationen gerufen, die oft schrecklich und mit viel menschlichem Leid verbunden seien. Das gehe an niemandem spurlos vorbei. Deshalb gebe es psychologische Hilfen für die Einsatzkräfte, erklärt Schlingmann.

Zur Feuerwehr geht, wer Menschen helfen will

Die Zahl der Rettungseinsätze von kranken Menschen aus ihren Häusern oder Wohnungen steige von Jahr zu Jahr an, skizziert Schlingmann, was er in seinen vier Jahrzehnten bei der Schrobenhausener Feuerwehr erlebt hat. Das liege zum einen daran, dass die Treppenhäuser in vielen Wohngebäuden seit Jahren immer kleiner würden, weil Wohnraum heute sehr viel wertvoller als früher sei. Ein anderer Aspekt sei es, dass auch die Zahl der adipösen Menschen gestiegen sei. Beides zusammen sei eine schwierige Kombination für Sanitäter, wenn sie Menschen daheim abholen müssten.

Das Schlimmste aber sei, so Schlingmann, wenn ein Feuerwehrmann bei einem Rettungseinsatz durch eventuelles Eigenverschulden einen Menschen verliere – wie in Sinzing. „Das habe ich in 40 Jahren als Feuerwehrmann noch nicht erlebt“, sagt Schlingmann, „und ich möchte das auch nicht erleben“. Insofern kann er verstehen, wenn sich der eine oder andere ehrenamtliche Helfer auch in seinen Reihen Gedanken darüber mache, was in Sinzing passiert sein könnte: „Wir sind doch auch nur Menschen.“ Menschen, die, so Schlingmann weiter, „aus Überzeugung zur Feuerwehr gehen, um Menschen zu helfen und sie zu retten.“

SZ