Quique Sinesi und Martin Sued kommen aus Buenos Aires. Der eine spielt Gitarre, der andere Bandoneon. Beide sind Virtuosen, beider Musik kann man hinsichtlich ihrer Stilistik betrachten, mindestens genauso wichtig aber ist deren Emotionalität. Als die beiden sich auf ihren Stühlen auf der Birdland-Bühne niederlassen und zu ihren Instrumenten greifen, rechnen wohl die meisten hier mit Tango.
Den gibt es natürlich auch, aber das ist längst nicht alles. In den Stücken der beiden fließen europäische Klassik, argentinische Folklore, Jazz und Milonga, Bossa Nova und Merengue zusammen, geht es einerseits konzertant zu, dann wieder entdeckt man Spuren schlichter kleiner Lieder. Es werden akribisch vorbereitete Kompositionen vorgetragen, dann wieder wird mit Hingabe improvisiert, was das Zeug hält. „Melodien schweben in der Luft. Ab und zu fange ich eine ein und mache ein Stück draus“, sagt Sinesi. Nicht selten entstehen dann – sei’s am Schreibtisch vor leerem Notenpapier, sei’s auf der Bühne und ganz spontan – Momente, in denen bei aller Saitenzauberei und Knopfartistik nie Hektik spürbar wird, die Musiker sich und ihrem Publikum alle Zeit der Welt einräumen, um jedem einzelnen Ton nachzulauschen, sich auf die gesetzten Pausen einzulassen, sich auf einen Rhythmus einzustellen oder einfach davonzufliegen. Melancholie oder Lebenslust, Schwermut oder Ausgelassenheit, in Töne gegossene Träumereien oder griffige Rhythmik – ständig ist Bewegung in diesem Auftritt, der Begriffe wie Vordergründigkeit, Oberflächlichkeit und Effekthascherei nicht kennt, sehr wohl aber solche wie Tiefgang und Substanz. Manchmal entwerfen die beiden fast den Soundtrack für ein Stillleben, dann wieder spürt man plötzlich Lust auf Bewegung.
Ein Sonderfall ist Sinesis zehnsaitige Gitarre, also eine klassische Konzertgitarre mit Resonanzsaiten. Kommt sie zum Einsatz, gewinnen die zarten, fragilen Melodien an Größe und der Nachhall ist enorm. Das Publikum ist dermaßen andächtig bei der Sache, dass erst nach dessen vollständigem Ausklingen Beifall aufbrandet. Sinesi und Sued haben es komplett in der Hand, verfügen tatsächlich über die Gabe, ein Auditorium zu verzaubern. Man lässt die Musiker hochleben wegen ihrer Musik, nicht weil sie für ausgelassene Stimmung sorgen würden. Das nämlich tun sie absichtlich nicht.
Duo-Konzerte sind immer spannend, in diesem Fall sind sie das in ganz besonderem Maße. Jeder bringt seine Fähigkeiten ein, gerade in den Solostücken. In den Phasen freilich, in denen sie spontan aufeinander reagieren, sich vom vorab Festgelegten entfernen und spontan zu erst noch zu entdeckenden Ufern aufbrechen, sind sie ganz stark und dem Jazz ebenso nahe wie der argentinischen Tradition, verstehen sich als Wanderer zwischen und gleichzeitig als verbindendes Element beider Welten. „Corazón Sur“ heißt das Aktuelle Album Sinesis. „Das Herz des Südens“. Nach dem, was man im Birdland erlebt hat, schlagen seines und das seines Partners Sued mit echter Leidenschaft. Und beide sind wahrlich groß.
DK
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