Ohne Netz und doppelten Boden

Gismo Graf und Stochelo Rosenberg reißen das Publikum im Birdland mit

29.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:23 Uhr

Technische Brillanz, waghalsiges Spiel: Joschi Graf, Gislmo Graf, Simon Ort und Stochelo Rosenberg. Foto: Leitner

Von Karl Leitner

Neuburg – Es gibt in der Musik Spielformen, die man bereits in- und auswendig zu kennen glaubt. Gypsy Swing ist eine davon. Es geht in der Hauptsache um Django Reinhardt, man hört viele seiner Kompositionen, die Musiker beschäftigen sich vornehmlich mit Saiteninstrumenten. Die Gitarristen, die dabei eindeutig in der Überzahl sind, sind durch die Bank virtuos und in der Lage, auf dem Griffbrett ein schier unglaubliches Tempo zu entwickeln und dabei mit ihren Fingern auch noch artistische Kunststücke ohne Netz und doppelten Boden vorzuführen.

Kennt man alles, ja, auch von etlichen Birdland-Konzerten des Gismo-Graf-Trios her, das dieses Mal mit Stochelo Rosenberg, einem der derzeit weltweit besten Gypsy-Gitarristen, im Hofapothekenkeller zu Gast ist. Und trotzdem haut es einen immer wieder um, wenn man hautnah mitbekommt, wie einen eine Band regelrecht schwindelig spielt und trotzdem so ungemein geerdet und melodiös klingt.

Wobei dieser Abend aber dennoch ein besonderer ist. Die beiden Sologitarristen Gismo Graf und Stochelo Rosenberg gehen nicht nur perfekt mit ihrem Instrument um, sondern reißen auch mit. Jeder für sich – wobei Rosenberg, was an seiner riesigen Erfahrung liegt, noch reifer agiert als Graf. Technisch brillant sind sie beide, aber wenn Rosenberg loslegt, ist man nicht nur fasziniert, sondern es geht einem das Herz auf. Graf, gerade mal 31 Jahre alt, sagt, er hätte sich von einer DVD Rosenbergs, Jahrgang 1968, fast alles abgeschaut, was er heute könne. Hier stehen also quasi der Impulsgeber und sein ehemaliger Schüler gemeinsam auf der Bühne. Und sie verstehen sich blind. Wenn sie zu einem ihrer waghalsigen Unisono-Soli ansetzen, hält man fast automatisch den Atem an und die Bezeichnung „Twin Guitars“ hebt ab in eine neue Dimension. Wie sie permanent die Rolle des Solisten zwischen sich hin- und herschieben, sich verständigen, sich gegenseitig Ideen zuschanzen, damit der Partner sie weiterführt, das ist schon sagenhaft. Django Reinhardts „What Kind Of Friend“, Rosenbergs „For Sephora“ und Chick Coreas „Spain“ sind nur drei Beispiele, bei denen diese Kooperation absolut perfekt funktioniert.

Simon Ort ist einer der Kontrabassisten des Gypsy Swing, die sich längst aus der früher ihnen zugewiesenen Rolle als reine Begleiter verabschiedet haben. Und Joschi Graf? Der spielt die Rhythmusgitarre. Er ist das personifizierte Metronom, das mit stoischer Ruhe für diesen Mördergroove sorgt, dem man sich nicht entziehen kann. Dass er auch ein wirklich guter Sänger ist, ist gar nicht so sehr bekannt. Wenn er ein Lied in der Sprache der Sinti vorträgt, dessen Titel Rosenberg nicht ohne Stolz mit „Wir sind Zigeuner“ übersetzt und ansagt, dann ist das durchaus ein Statement, das bestätigt, was laut Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die es wissen muss, viele Betroffene sagen: „Es ist ein gutes Wort, wenn man uns gut behandelt.“ Was man leider nicht überall tut.

Ja, es ist tatsächlich nicht schwer, den Gypsy Swing zu mögen, zu lieben, ihn und seine Musiker zu bejubeln. Der Volksgruppe, zu der diese virtuosen Musiker gehören, ähnlichen Respekt entgegenzubringen, verlangt schon mehr. Nähme man diese großartige Musik als Auslöser für eine Annäherung, wäre das zumindest ein Anfang.

DK