Schrobenhausen
 Mehr als Galgant und Hildegardkekse

<DK-XY_trifft>GEDANKEN ZUM SONNTAG</DK-XY_trifft> von Gemeindereferentin Rita Sieber

07.08.2022 | Stand 22.09.2023, 20:15 Uhr

Rita Sieber Foto: SZ-Archiv

Liebe Leserinnen und Leser!

„Mitten im Weltenbau steht der Mensch. An Statur ist er zwar klein, an Kraft seiner Seele jedoch gewaltig. Was er mit seinen Werken bewirkt, das durchdringt das All.“ (Hildegard von Bingen). Ich muss schlucken, wenn ich diese Zeilen vor dem Hintergrund von Krieg, Hunger, politischen Verwirrungen bis hin zu Provokationen, Klimakrise mit momentaner Hitzewelle, Sorgen vor der Energieknappheit – besonders im Winter und und, und lese.

„Was er (der Mensch) mit seinen Werken bewirkt, das durchdringt das All.“ (Hildegard von Bingen). Herzlichen Glückwunsch! Das haben wir gut hingekriegt!

Ich möchte mich von Bingen (1098 - 1179) zuwenden, einer herausragenden Denkerin, Theologin und Philosophin, die vor zehn Jahren von Papst Benedikt XVI. zur Kirchenlehrerin erhoben wurde. Hildegards öffentliches Auftreten, gleichermaßen vor Klerus und Volk predigend, lässt die Fragwürdigkeit des Ausschlusses von Frauen von solchen kirchlich-theologischen Funktionen vor Augen treten. Die formelle Erhebung von Bingens zur Kirchenlehrerin 2012 wirkt vor dem Hintergrund als angemessene Würdigung.

Hildegard von Bingen und ihre Botschaft ist auch nach 900 Jahren unverändert gültig und höchst aktuell. Zeit ihres Lebens rang sie um einen vernunftgemäßen Glauben im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verantwortung und um die Fragen nach Gott, Welt und Mensch. Damit ist sie für uns und für viele suchende Menschen unserer Zeit ein großes Vorbild. Ihr bedeutsames Erbe zu pflegen, ihre Tradition weiterzugeben und aus ihren Werten heraus Gegenwart und Zukunft zu gestalten, das ist für uns Herausforderung und Aufgabe zugleich.

Die mittelalterliche Mystikerin von Bingen war eine vielseitige, mutige Frau. Leider wird ihr Wirken häufig alleine in die Sparte von Heilwissen gedrängt und beschäftigt sich mit Allergien, Fasten, Kräutern, Edelsteinen und Kochen mit Dinkel. Dabei belegen – auch neuere – Forschungsergebnisse, dass die Kenntnisse gelehrter Benediktinerinnen ihrer Zeit aus dem großen Kosmos des Glaubens geschöpft haben und unbedingt der religiöse Hintergrund zu berücksichtigen ist, ansonsten verlieren Aussagen ihren Sinn.

Besonderes Gewicht haben die sprachlichen Ähnlichkeiten, die im mittelalterlichen Denken eine tiefe Bedeutung hatten. So gibt es n der Handschrift „Physica“, die erst nach dem Tod der Heiligen verfasst wurde, eine Empfehlung an Saphiren zu lutschen. Sie sollen klug machen. Im Lateinischen liegen die Worte sapphirus und sapientia für Weisheit vom Klang nahe beieinander. Im Alten Testament heißt es, dass der Ort, an dem Gott erschienen ist, wie ein Saphir glänzt. So wird verständlich, dass die Christusfigur in Hildegards Bibelvisionen in blauer Farbe gemalt und umrandet ist. Hildegard setzt Christus und Weisheit gleich.

Die Bedeutung Hildegards von Bingen lässt sich schlecht in einzelne Kategorien zwängen, da sich das Weltbild seit der Aufklärung stark verändert hat und einige Universalgelehrte hervorbrachte. Von Bingen gilt allgemein als Person, die durch eigene Denkansätze neue Impulse setzte und damit einen umfassenden Blickwinkel ermöglichte.

Als theologischer und philosophischer Denkerin stand sie mit vielen Vertretern der kirchlichen wie der weltlichen Obrigkeit in geistigem Austausch. Berühmt ist sie nicht zuletzt dafür, dass sie als Ratgeberin kirchlichen Autoritäten unerschrocken ins Gewissen redete. Wie nötig sind zu allen Zeiten Menschen, die sich Autoritäten mutig in den Weg stellen!

Wegen ihres Glaubens und ihrer Lebensart wurde sie für viele Menschen zur Wegweiserin. Hildegard begründete diese Auffassung, indem sie sich für ihre theologischen und philosophischen Aussagen immer wieder auf Visionen berief. Damit sicherte sie ihre Lehren gegen die Lehrmeinung ab, dass Frauen aus eigener Kraft nicht zu theologischen Kenntnissen in der Lage seien.

Vor allem sind es die drei theologischen Werke, die ihren damaligen Ruhm begründeten. Ihr berühmtes Hauptwerk Scivias („Wisse die Wege“) ist eine Glaubenslehre, in der Welt- und Menschenbild untrennbar mit dem Gottesbild verwoben sind. Die weiteren Werke beschäftigen sich mit visionärer Ethik und mit der Schau über Welt und Mensch. Schwerpunkt ist die Schöpfungsordnung, in die der Mensch gestellt ist. Welche Aktualität!

Trotzdem sind 900 Jahre zu überbrücken, um an Hildegards Denken und Handeln heute anzuknüpfen. Aber es lohnt sich. Zwei Bücher (für den Urlaub?) seien ans Herz gelegt: Hildegard von Bingen. Die Welt ist voll Licht, ist neu erschienen, Hildegard Gosebrink, Patmos 2022. Das große Hildegard von Bingen Lesebuch. Worte wie Feuerzungen, Maura Zatonyi, Herder 2022.

Viel Freude bei der Beschäftigung mit Hildegard und einen schönen Sommer!

Ihre Rita Sieber

Gemeindereferentin der PG Schrobenhausen und Referentin „Seelsorge in den Generationen“