Neuburg
Mangelnde Zivilcourage?

Ehepaar B. ärgert sich über das Verhalten des Kreisverbands VdK

25.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:24 Uhr
Timo Schoch

Symbolfoto: Wer mit Handicap die Toilette des Neuburger Bücherturms aufsuchen will, braucht einen Euroschlüssel. Foto: Schoch

Von Timo Schoch

Neuburg – Mangelndes Fingerspitzengefühl oder doch alles korrekt? Für das Ehepaar B. ist die Sache eindeutig. Sie kritisieren den VdK des Kreisverbands Neuburg-Schrobenhausen, der einen sogenannten Euroschlüssel, mit dem Menschen mit Handicaps Zugang zu sanitären Einrichtungen finden, nicht ohne entsprechende Dokumente herausgeben wollte.

Ein lauer Sommerabend. Werner B. und seine schwer an Krebs erkrankte Frau (Namen der Redaktion bekannt) wollten mit Freunden bei einem Neuburger Italiener essen gehen. Allerdings braucht es für eine Frau, die durch die Krankheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist, etwas Planung im Vorfeld. Spontan irgendwo hinfahren, den Tag bei leckerem Essen und guten Gesprächen ausklingen lassen, ist nicht möglich. Werner B. kennt diese Hürden, die er regelmäßig zusammen mit seiner Frau aufgrund ihrer chronischen Krebserkrankung und der ambulant palliativen Betreuung umschiffen muss. Deshalb trifft er Vorkehrungen. Er klärt die Örtlichkeiten ab: Sind sie barrierefrei erreichbar? Wie schaut es mit den sanitären Anlagen aus? Alles Fragen, die sich das Ehepaar stellen muss, bevor es losfährt.

So ging Werner B. auch vor einigen Tagen vor. Allerdings stellte er fest, dass es in dem ausgewählten italienischen Restaurant keine barrierefrei zugänglichen Toiletten gibt. B. gab allerdings nicht auf und stellte fest, dass es Toiletten für Menschen mit Handicaps im angrenzenden Bücherturm gibt, die über einen Euroschlüssel zugänglich sind. Was er allerdings nicht berücksichtigte, war der anschließende Telefon-Marathon. „Vier Stunden Engagement waren nötig, um keinen Schlüssel zu bekommen“, bilanzierte B.

So telefonierte B. unter anderem mit dem VdK. Der Sozialverband verkauft die einheitlichen Schlüssel für 23 Euro. Wer einen solchen Schlüssel erwerben will, braucht allerdings entsprechende Voraussetzungen (siehe unten). Diese – beispielsweise das „Merkzeichen G“ im Schwerbehindertenausweis – konnte das Ehepaar B. aber nicht vorweisen, jedoch legten sie ein Attest von einem Onkologen vor. Trotzdem erhielt B. vom Kreisverband des VdK gegen Gebühr keinen Schlüssel – auch nicht ausnahmsweise für diesen einen Abend. Eine Situation, die sowohl das Ehepaar B. als auch deren Freunde, mit denen sie sich zum Essen verabredet hatten, maßlos ärgerte. Mangelnde Zivilcourage kritisierten sie. Es wäre nur nach Vorgaben und Paragrafen entschieden worden, nicht nach Fingerspitzengefühl. „Es fehlt die Empathie, die man sich als Angehöriger wünschen würde“, kritisiert B.

Sandra Andritschke, die Kreisgeschäftsführerin des VdK Neuburg-Schrobenhausen, erinnert sich noch an die besagte Situation, auch wenn B. mit einer Kollegin Kontakt hatte. „Wir haben unsere Vorgaben“, sagt sie. „Die Schlüsselübergabe erfolgt stellvertretend für den CBF Darmstadt (Club Behinderter und ihrer Freunde in Darmstadt und Umgebung, d. Red.). Diese stellen die Schlüssel zur Verfügung. Wir müssen aber alles nachweisen und sind daran gebunden.“ Die Mitarbeiterin hätte deshalb an dem besagten Freitag, als B. bezüglich des Euroschlüssels nachfragte, sofort versucht, beim CBF Rücksprache zu halten. Auch nach mehreren Anrufen wäre lediglich der Anrufbeantworter rangegangen. Selbst auf eine Mail hätte niemand vom Selbsthilfeverein reagiert. „Die Kollegin hat sogar nach ihrem Feierabend vom privaten Telefon aus versucht, dort jemanden zu erreichen“, sagt Andritschke. Vorwürfe macht sie ihr deshalb überhaupt keine. „Sie hat keine Mühen gescheut und sich über das Maß hinaus eingesetzt“, sagt die Kreisgeschäftsführerin des VdK. Deshalb will Andritschke den Vorwurf der mangelnden Zivilcourage nicht stehen lassen. „Wir fühlen uns nicht wie ein Amt. Wir helfen auch unkonventionell.“

Das Ehepaar B. dürfte das anders sehen. Inzwischen wissen sie, wie eine unbürokratische Hilfe aussieht: Werner B. rief nach dem ergebnislosen Gespräch beim VdK kurzerhand den Inhaber des italienischen Restaurants an. Nach einem kurzen Gespräch, fand dieser eine pragmatische Lösung: Der Pizzalieferant im Nebengebäude stellte seinen Aufzug zur Verfügung. Mit diesem wusste seine schwerkranke Frau, dass sie eine Toilette aufsuchen kann. Der Abend war also gerettet.

DK12 000 ToilettenDas Eurozylinderschloss und der Euroschlüssel stellen seit 1986 ein europaweit einheitliches Schließsystem für behindertengerechte Anlagen dar. Die rund 12 000 Toiletten sind mittlerweile nahezu flächendeckend in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu finden. Jeder Mensch mit Handicap, der im Besitz eines Euroschlüssels ist, kann diese Einrichtungen betreten und nutzen. Es handelt sich beispielsweise um entsprechend ausgestattete Toiletten in Städten, öffentlichen Gebäuden, Bahnhöfen, Autobahnraststätten, Hochschulen, Freizeitanlagen, Kaufhäusern etc.Dieser spezielle Türöffner ermöglicht den Zugang lediglich einem eingeschränkten Personenkreis, der auf besondere Einrichtungen und Ausgestaltung angewiesen ist. Nötig ist eine gesonderte Sicherung, um die zum Teil sehr kostspieligen Anlagen vor Beschädigung durch Vandalismus zu schützen und die Sauberkeit/Hygiene zu gewährleisten. Schlüssel für 23 EuroDer Euroschlüssel wird in Deutschland beispielsweise durch den Club Behinderter und ihrer Freunde in Darmstadt und Umgebung (CBF) verkauft. Privatpersonen können den Schlüssel durch Zusendung einer Kopie des Schwerbehindertenausweises (Vorder- und Rückseite) per Post, Telefax oder E-Mail bestellen. Der Euroschlüssel wird unter bestimmten Voraussetzungen gegen eine Gebühr von zurzeit 23 Euro ausgegeben. Folgende Bedingungen sind notwendig, um einen Euroschlüssel zu erhalten: Entweder wenn im Schwerbehindertenausweis – unabhängig vom Grad der Behinderung – eines der Merkzeichen aG, B, H, Bl eingetragen oder das Merkzeichen G und einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 70 enthalten ist. Alternativ können auch eine ärztliche Bescheinigung oder Stellungnahme gültig sein.