Da ist er wieder, da kommt er wieder um die Ecke. Wie so manches doch im Gedächtnis geblieben ist, sich sogar eingebrannt hat. Im positiven Sinne. Darunter dieses bestimmte Werk der deutschen Literatur. Vielleicht, weil genau das einst der Deutschlehrer für das komplette Schuljahr zum Grundwissen erklärt hatte und es so jederzeit abgefragt werden konnte: die Geschichte von John Maynard, diese bestimmte Ballade von Theodor Fontane. Neun Strophen, der prägnante Anfang: „Wer ist John Maynard? John Maynard war unser Steuermann. Aushielt er, bis er das Ufer gewann. Er hat uns gerettet, er trägt die Kron. Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard.“
Das sollte nicht die einzige aufblitzende Erinnerung mit reichlich Kopfkino im Blauen Saal der Schrobenhausener Volkshochschule bleiben. Mit zwei Hauptpersonen an diesem Kulturabend mit Literatur, obendrein mit verbindenden Worten und wohlklingender Musik. Das alles passt sowas von zusammen, die perfekte Symbiose. Bei reichlich Wohlfühlcharakter im Raum mit gut 40 Gästen, die ihn in angenehmer Weise ausfüllen. Die Idee dazu stammt von Franz Josef Mayer, dem Journalisten, dem Lesebegeisterten. Der zu Beginn in seiner Moderation erzählt, warum er ausgerechnet dieses Thema gewählt hat: „Weil Balladen leider aus der Mode gekommen sind und unbedingt wieder mehr Beachtung bräuchten.“ Kaum neue Texte kämen hinzu, sagt er, und stellt fest: „Es gibt Tausende Gedichte, jeden Tag, immer neu, während das Balladen-Dichten nahezu eingeschlafen ist.“
Gewinnen konnte Mayer für diesen Abend Heike Kielsmeier, die Bibliothekarin und Literaturpädagogin. Und Alex Langenmaier, den Germanisten, Theaterwissenschaftler und Autor. Was beide gemein haben: die Liebe zur Literatur, die tägliche Arbeit mit Texten. Und das merkt man natürlich schnell. Beide wechseln sich beim Vorlesen ab, mal von Stück zu Stück, mal innerhalb eines Stückes. Sie verstehen es, unterschiedliche Stimmungen und Atmosphären rüberzubringen, diese auch innerhalb einer Ballade zu verändern. Lautstärke, Sprechtempo, Deutlichkeit und Klarheit, das Zurückhalten mit Mimik und Gestik, das gefällt. Das Publikum hängt während der 15 Werke gespannt an ihren Lippen.
Zum Beispiel bei Fontanes „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ (1889), für Franz Josef Mayer „eine eher spielerische Ballade“. Heike Kielsmeier und Alex Langenmaier lesen noch weitere Klassiker vor: Goethes „Johanna Sebus“ (1809), Eduard Mörikes „Feuerreiter“ (1824), auch Bert Brechts bittere Kriegsgedanken „Und was bekam des Soldaten Weib?“ (1941). Es darf auch etwas makaber sein wie „Der Glockengießer von Breslau“ (1873). Dass Schiller auch mal parodiert wird, ist bekannt: Auf der Kleinkunstbühne werden die „Kraniche des Ibykus“ schnell zu den „Ibichen des Kranikus“. Aber „ein Schiller muss sein“, findet Franz Josef Mayer, dann eben „Der Handschuh“.
Es gibt auch weniger Bekanntes zu hören. Etwa von Ludwig Uhland. Diese Zeilen hat er bei „Des Sängers Fluch“ (1814) der Nachwelt in Reimform hinterlassen: „Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr. Weit glänzt es über die Lande bis an das blaue Meer. Und rings von duftgen Gärten ein blütenreicher Kranz. Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.“
Zwischen den Gedichten spielt Liedermacher Mathias Petry mit seiner Akustikgitarre passende Klänge, nimmt stellenweise seine Mundharmonika dazu, wenn er ausgewählte Hudlbub-Songs aus der eigenen Feder anspielt. Franz Josef Mayer erzählt dazwischen interessante Details, führt zu den verschiedenartigen Texten hin. Beide halten sich im Hintergrund, überlassen die Bühne den beiden Protagonisten bei einem Rezept, das vorzüglich schmeckt. Man erfährt derweil, dass der Schriftsteller und Dichter Theodor Fontane (1819 bis 1898) Journalist war und den einen oder anderen Stoff aus der Tagespresse in seinen Texten verarbeitete. Zum Beispiel in „Die Brücke am Tay“ (1897) deren Einsturz, als ein Eisenbahnzug darüber fuhr und 75 Menschen in den Tod riss. Und eben auch in „John Maynard“, 1886 erstmals veröffentlicht, dem Steuermann und dessen Schifffahrt auf dem Eriesee in Nordamerika, als plötzlich das Feuer ausbricht, er auf seinem Posten bleibt und alle Passagiere um den Preis seines eigenen Lebens rettet.
Der Literaturabend endet mit „Joguleit“ von Fritz Graßhoff. Gut gestimmt geht’s nach Hause. Mit der einen oder anderen zuvor gehörten Textpassage, zum Beispiel mit dieser: „Und noch zehn Minuten bis Buffalo“. Und schließlich: „Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt. Gerettet alle. Nur einer fehlt!“ Manche Dinge bleiben einfach im Gedächtnis.
SZ
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