Energiepolitische Entscheidungen
Neuburger Stadtwerkechef Kuttenreich: „Totalversagen der Politik“

03.09.2022 | Stand 22.09.2023, 6:05 Uhr

Aus Sicht des Neuburger Stadtwerkechefs Richard Kuttenreich droht Bayern auch wegen seiner Energiepolitik bald abgehängt zu werden. Foto: Polfike, Stadtwerke Neuburg

Der Herbst steht bevor. Die Preise für Strom und Gas sind auf Rekordniveau. Viele Menschen fürchten den bevorstehenden Winter. Der Neuburger Stadtwerkechef Richard Kuttenreich (60) fordert im Interview mit dem DK klare Ansagen der Politik und kritisiert die bisherigen Entscheidungen massiv.

Herr Kuttenreich, lassen Sie uns über die Energiekrise sprechen. Worauf müssen wir uns in Neuburg einstellen?
Richard Kuttenreich: Auf steigende Preise bei Strom und Gas. Ob wirklich eine Notlage eintreten wird, wissen wir nicht. Die Vorkehrungen sind aber getroffen, die Sparmaßnahmen sind am Anlaufen. Die Speicher in Deutschland werden jetzt gefüllt und scheinen auch ihre Zielwerte zu erreichen. Letztendlich aber wissen wir alle, dass die Speicher uns vier bis sechs Wochen weiterhelfen, aber nicht mehr.

Das heißt, selbst volle Speicher würden nicht den ganzen Winter reichen?
Kuttenreich: Genau. Wir haben aber sehr viel Gas, das über die Flüssiggas-Bahnhöfe aus Belgien nach Deutschland kommt. Und wir haben auch sehr gute Verbindungen im europäischen Erdgasnetz. Deswegen ist es schwer einzuschätzen, wie schwierig es in diesem Winter wird.

Was halten Sie denn von der Verordnung des Bundeskabinetts zu kurzfristigen Energiesparmaßnahmen, die seit 1. September in Kraft ist?

Kuttenreich: Ich erwarte völlig andere Reaktionen auf diese Notlage als Verordnungen, dass man Lichter und Reklamen früher ausschaltet.

Sie haben vor den Ferien im Werkausschuss des Stadtrats von einem Verteilungskampf gesprochen. Was meinen Sie damit?
Kuttenreich: Wir stecken mitten in einem Wirtschaftskrieg. Wir sehen ja, dass aktuell Ressourcen, Energie und Material knapp werden, was auch von Despoten und anderen Kräften ausgenutzt wird. Dazu spielt zur Zeit der Energiehandel verrückt. Die Preissprünge sind nicht nachvollziehbar. Momentan herrscht hier ein Raubrittertum.

Glauben Sie denn, dass das, was die Bundesregierung und die EU-Kommission zur Eindämmung der Strommarktpreise in Aussicht gestellt haben, Erfolg haben wird?
Kuttenreich: Es muss Erfolg haben. Denn der einzelne Bürger kann sich diese Preise nicht leisten. Am Montag lag die Kilowattstunde Strom bei 69 Cent, Gas bei 31 Cent.

Wo waren wir preislich vor zwei Jahren?
Kuttenreich: Etwa bei acht Cent. Wir konnten in Neuburg sehr günstig einkaufen, deshalb konnten wir es bis dato sehr gut abfedern. Die wirkliche Bewährungsprobe werden wir 2023/2024 bekommen. Aber die 2000 Euro, die man jetzt schon allein für Gas mehr zahlen muss, sind auch heftig. Wir als Stadtwerke haben auch eine hohe soziale Verantwortung. Da müssen wir nachdenken, was wir tun können, um das so gut wie möglich abzulindern.

Wie wollen Sie das tun?
Kuttenreich: Wir sind auf der Suche nach Verbänden, die uns als neutrale Instanz helfen, Härtefälle zu lokalisieren. Und was wir dann tun können, da haben wir schon ein, zwei Ideen.

Wie groß ist denn jetzt der tatsächliche Gasmangel? Außer den gestiegenen Preisen merkt man doch nichts.
Kuttenreich: Es gibt die Aussage der Bundesregierung „Sparen, sparen, sparen“, es gibt die Stufen des Notfallplans, die ausgerufen worden sind. Alle sprechen über die Notlage, aber faktisch passiert wenig. Auch hier in Neuburg, wo wir vor der Sommerpause den Entschluss gefasst haben, das Hallenbad zu schließen, was aber in einer Sondersitzung des Werkausschusses wieder revidiert werden soll.

Wozu raten Sie dabei?
Kuttenreich: Wenn die politische Aussage der Bundesregierung lautet, dass wir sparen müssen, weil sich sonst eine Notlage entwickeln kann, dann würde ich ganz klar das Hallenbad schließen. Weil ich 250 Haushalte sehe, die ich mit der dabei eingesparten Energie beheizen könnte.

Es ist zu erwarten, dass es im Werkausschuss auf eine Kompromisslösung hinausläuft.
Kuttenreich: Ja, aber selbst wenn durch Schließung von Außenbecken und Sauna und dem Runterregeln der Wassertemperatur nur noch 25 Prozent der ursprünglich benötigten Energie verbraucht würden, sprechen wir noch von 25 Prozent von 3,2 Millionen Kilowattstunden. Und da gibt es noch einen Faktor, den man noch nicht auf dem Schirm hat.

Sie meinen die Kosten.

Kuttenreich: Ja. Diese sind jetzt mindestens um Faktor fünf höher als bisher. Wie wollen wir das schultern? Wir hatten bisher schon defizitäre Bäder, die den Großteil des Defizits der öffentlichen Einrichtungen ausgemacht haben. Das wird dann weiter steigen und dadurch die Entwicklungen in der Energiewirtschaft blockieren, wenn es um neue Themen geht wie Wasserstoff und erneuerbare Energien. Das muss uns bewusst sein. Wir empfehlen deswegen ganz klar, das Hallenbad zu schließen. Eines möchte ich aber auch sagen: Eine Entscheidung über die Schließung eines Hallenbads sollte eigentlich kein Stadtrat und kein Stadtwerk treffen müssen.

Wer denn sonst?

Kuttenreich: Wenn es denn eine Notlage gibt, erwarte ich vom bayerischen Ministerpräsidenten die Aussage, dass bayernweit die Hallenbäder, die mit Strom und Gas betrieben werden, geschlossen werden.

Was aber bisher nicht passiert ist.
Kuttenreich:
Ja, und das finde ich bemerkenswert. Vielleicht weil die Landtagswahlen bevorstehen. In einer Notlage muss das Konfliktmanagement anders aussehen.

Womöglich mangelt es auch an der Sichtbarkeit dieser Notlage.
Kuttenreich: Ja. In Neuburg zum Beispiel haben wir 17000 Haushalte, betroffen ist aber nur ein Drittel, die Gas- und Wärmekunden. Den anderen zwei Dritteln ist das gar nicht so nahe, weil sie eine Wärmepumpe haben oder anders heizen.

Auch in Deutschland sind die Bundesländer unterschiedlich stark betroffen. Gerade Bayern, in dem es viele energiehungrige Unternehmen gibt, ist vom Gas abhängig. Sehen Sie die Gefahr, dass Bayern abgehängt wird?
Kuttenreich: Bayern wird aus meiner Sicht demnächst unabhängig von der Gasmangellage abgehängt. Fakt ist der: Wir haben die erneuerbaren Energien in den letzten 18 Jahren nicht in dem Maße ausgebaut, wie wir es gesollt hätten. Seit ein paar Wochen wissen wir, dass wir für die CO2-Tonne 94 Euro bezahlen. Die kostete vor zehn, zwölf Jahren vielleicht 20 Euro. Deswegen siedeln sich die großen Unternehmen zur Zeit in Sachsen an. Dort finden sie einerseits genug Flächen mit mindestens 20 Hektar Größe und andererseits gibt es in Sachsen 40 Prozent erneuerbare Energien, für die man keine CO2-Abgabe zahlen muss.

Es gibt ja einige Stimmen, die mit Blick auf die CO2-Bilanz und den Strombedarf dafür plädieren, Atomkraftwerke zu reaktivieren. Was halten Sie davon?
Kuttenreich: Die letzten drei Atomkraftwerke, die wir noch finden in Deutschland, bauen nur sechs Prozent des Strom-Gesamtvolumens. Dazu produziert sie eben nur Strom, während Gaskraftwerke und Kohlekraftwerke Wärme und Strom erzeugen. Kohlekraft kann man zudem flexibel rauf und runter regeln. Und die Frage nach einem Endlager für den Atommüll ist auch nach Jahrzehnten nicht gelöst, das vergessen wir gerne in der Diskussion. Deshalb habe ich da eine ganz klare Meinung.

Was erwarten Sie von der Staatsregierung?
Kuttenreich: Klare Aussagen. Und den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie Wasserstofftechnologien, was Bayern aber auch macht. Und ganz, ganz wichtig: Den Südlink, damit die Energie von Norden nach Süden kommt. Da wünsche ich mir eine klare Ansage. Die Stromtrasse wurde in Bayern lange verhindert. Wenn wir in der Lage wären, uns als Deutschland im Land auszuhelfen und das auszubalancieren, wären wir unabhängig von geopolitischen Verwerfungen. So eine Stromautobahn macht niemandem Spaß. Die Kernfrage ist aber: Was will ich? Eine Stromtrasse neben der Autobahn oder mich abhängig von einem Despoten machen?

Was wünschen Sie sich von den Bürgern?
Kuttenreich: Was soll denn der Bürger tun, wenn er keine klaren Aussagen bekommt? Ich sehe uns eher in der Verantwortung, den Bürger zu schützen. Es gab ein komplettes Totalversagen der Politik in den vergangenen 18 Jahren. Ich begebe mich doch nicht in die Abhängigkeit von einem einzigen Stofflieferanten. Selbst wir als Stadtwerke haben immer zwei Lieferanten, weil ich davon ausgehen muss, dass einer mal ausfällt.

DKDas Gespräch führte Thorsten Stark.