Schrobenhausen
Hinterkaifeck: War alles ganz anders?

Wie der Militariasammler Johnny Noack zu seiner Version des bis heute ungeklärten Mordes kam

07.05.2022 | Stand 23.09.2023, 1:35 Uhr

Der Militariasammler Johnny Noack aus dem Elsass stieß per Zufall auf Hinterkaifeck: als ihm eine Kladde mit den angeblichen Lebenserinnerungen des Reichswehroffiziers Ernst Friedrich Mehnert in die Hände fielen. Im Donaukurier erzählt Noack exklusiv seine Version des Mordfalls. Foto: Petry

Von Mathias Petry

Der Mord von Hinterkaifeck, bei dem um den 31. März 1922 im gleichnamigen Einödhof nahe Schrobenhausen sechs Menschen umgebracht wurden, ist bis heute ungeklärt. Seit einigen Jahren geistert eine Theorie durchs Internet, nach der die Reichswehr mit dem Mord zu tun hatte. Das ist die Geschichte dazu.

Eigentlich wollte Johnny Noack nur eine Luger vom Typ P08 kaufen, eine Pistole aus dem Ersten Weltkrieg. Der Militariasammler stieß dabei auf etwas, dessen Brisanz sich ihm anfangs gar nicht erschloss. Denn zu der P08, die ihm damals Mitte der 90er-Jahre ein Antiquitätenhändler in Frankreich anbot, habe auch ein alter Sekretär gehört, berichtet er. Und der beinhaltete in einem Geheimfach nicht nur eine Taschenuhr mit den Initialen „A.G.“ und ein paar alte Silbermünzen, sondern auch eine Kladde mit handbeschriebenen Textseiten. Noack bat seinen Vater, den in Sütterlin geschriebenen Text in die lateinischer Schrift zu übertragen. Als ihm der Vater einige Wochen später die Übertragung brachte, las Noack zum ersten Mal den Namen „Hinterkeifeck“, übrigens mit „e“ statt „a“. Und er ahnte, dass er hier etwas mit Zündstoff in die Finger bekommen hatte.



Nach den Angaben Noacks befanden sich in der Kladde die Lebenserinnerungen eines Oberleutnant Ernst Friedrich Mehnert, der im Ersten Weltkrieg eine Hand verlor und 1922 kurz davor gewesen sein soll, als Kriegsveteran aus dem Dienst entlassen zu werden. Durch einen Zufall habe Mehnert in dieser Zeit einen Geheimdienstoffizier der Reichswehr kennengelernt, der ihm einen Auftrag gegeben habe, für den dieser im Gegenzug eine neue Anstellung in einer Ausbildungskaserne bekommen sollte.

Und dieser letzte Einsatz, erzählt Noack, habe es in sich gehabt. Den Aufzeichnungen zufolge habe der Bauer von Hinterkaifeck die Reichswehr erpresst. Die habe nämlich – anders als im Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg festgelegt – längst nicht alle Waffen abgegeben. Und auf jenem Einödhof bei Schrobenhausen sollen ganze Flugzeuge in Kisten eingelagert worden sein. Hätten die Siegermächte davon Wind bekommen, was die Reichswehr hinter ihrem Rücken tat, wäre selbst ein Einmarsch in Bayern nicht auszuschließen gewesen.

Mehnert sollte nun, wie Noack erzählt, Beweisstücke diskret beseitigen und Erpressungsversuchen Einhalt gebieten. Doch der Einsatz rund um den 31. März 1922 ging schief, am Ende gab es jede Menge Tote. Statt die erhoffte Belohnung einzuheimsen, musste Mehnert mit seinem Kommando, das aus zwei weiteren Soldaten bestand, untertauchen.

Die Geschichte geht so weiter, dass Mehnert auf der Flucht nach einem Streit um Beute seine beiden Soldaten erschoss, er sich bis zum Rhein durchschlug, wo er sich ein Pferd kaufte, mit dessen Hilfe er sich in Sicherheit brachte. Bald darauf heiratete und unter dem Namen seiner Frau ein unbeobachtetes Leben führte.

Mehr zum Thema

Den 1. Teil von „Hinterkaifeck und die Reichswehr“ können Sie hier lesen.

War also dieser Ernst Friedrich Mehnert tatsächlich am Mord von Hinterkaifeck beteiligt? Selbst gesehen hat er laut seinen Aufzeichnungen wohl nur den Mord an der kleinen Cilli. Die anderen, ihre Mama Viktoria Gabriel, deren Eltern, ihr Sohn Josef und die Magd sollen von seinem Kommando getötet worden sein.

Können also diese Lebenserinnerungen tatsächlich die Lösung des Mordfalles von Hinterkaifeck bieten? Zunächst sicher nicht, denn ob die Geschichte, die sich in der Kladde befindet, wahr ist, lässt sich nicht leicht verifizieren. Johnny Noack berichtet, er habe Mehnerts Tochter ausfindig gemacht und sie noch kennengelernt. Dazu beitragen habe sie aber nichts können. Über seine Zeit beim Militär habe ihr Vater nicht viel geredet.

Was wiederum erklären würde, dass Mehnert im Spätherbst seines Lebens in den 70er Jahren seine Erinnerungen aufschrieb. Warum er das aber in Sütterlin getan hat und nicht in der Kurrentschrift, die er in der Schule gelernt haben muss, zählt zu den Fragen, die rund um die Kladde bleiben.



Auch Johnny Noack selbst sorgt für manches Geheimnis. Seit Jahren hat er immer wieder Bruchstücke aus dem Nachlass in Internetkreisen veröffentlicht, aber er hat sich bisher konsequent geweigert, das Originalmanuskript freizugeben. Warum? Das sagt er in einem Interview in dem Film, den der Donaukurier zu „100 Jahre Hinterkaifeck“ im Internet veröffentlicht hat: Weil er sich immer wieder massiven Angriffen ausgesetzt sah, angefeindet wurde. „Und es ist so, dass ich in meinem Leben noch andere Dinge zu tun habe, als mich um einen ungeklärten Mordfall aus dem Jahr 1922 zu kümmern.“ Unter anderem hat sich Noack, der eigentlich aus Schleswig-Holstein stammt, einen Traum erfüllt, und betreibt seit vielen Jahren hauptberuflich im Elsass eine Pferderanch, die es zu bewirtschaften gilt.

Inzwischen hat er nun Teile der Kladde freigegeben, aber weiterhin nicht alles. Dafür hat er auch eine Begründung: „Der ganze Text ist voller Klarnamen“, sagt Noack. Zum Beispiel tauchen die Namen der Mitglieder seines Kommandos, die Mehnert des Mordes bezichtigt, wieder und wieder auf.

„Für mich ist der Fall klar, er ist abgeschlossen“, sagt Noack, aber auch er hat ja nur diese eine Quelle, nämlich die Textseiten aus der Kladde. Und nachdem sie sich – wie alle andere Theorien zum Fall Hinterkaifeck auch – bestensfalls über einzelne Indizien verifizieren lassen, denkt Noack nicht daran, nun die Hinterbliebenen der im Manuskript Genannten demselben Schicksal auszusetzen, wie es in den vergangenen Jahren einigen Familien aus der Umgebung Hinterkaifecks widerfahren ist: die sich nämlich unbeweisbaren Vermutungen ausgesetzt sahen.

Eines aber kann die Version aus der Kladde: eingefahrene Sichtweisen aufbrechen. Denn auf ganz viele bislang offen gebliebene Fragen kann diese Version, die Johnny Noack nun in den nächsten Wochen exklusiv im Donaukurier erzählt, Antworten geben. Aufgeklärt ist der Mord von Hinterkaifeck damit aber noch lange nicht – und wahrscheinlich wird das für immer so bleiben.

DK