Schrobenhausen
Hinterkaifeck und die Reichswehr (2)

Die Geschichte des Offiziers Ernst Friedrich Mehnert

09.05.2022 | Stand 23.09.2023, 1:35 Uhr

Foto: Petry

Der Militariasammler Johnny Noack ist durch Zufall in den Besitz der Lebenserinnerungen von Oberleutnant Ernst Friedrich Mehnert gekommen. Exklusiv im Donaukurier erzählt er seine darauf basierende Version des Mordes von Hinterkaifeck (Folge 2):

Ein Offizier überquerte die Straße vor der „Prinz Leopold Kaserne“ der ehemaligen kaiserlichen Kavalleriekaserne in München. Das Wetter war nasskalt, Anfang März 1922, er hatte seinen Uniformmantelkragen hochgeschlagen. Mit lässiger Bewegung, Zeige- und Mittelfinger am Schirm der Mütze, erwiderte er den Gruß des Postens, der das Gewehr präsentierte. Es war die abgeklärte Lässigkeit der Stabsoffiziere, die einen militärischen Gruß zwar zackig erwarteten, selbst aber leger auftraten.

Lesen Sie hierzu auch:

Hinterkaifeck und die Reichswehr (1)

Er betrat das Stabsgebäude, in dem seine Dienststelle untergebracht war. Auf der langen Treppe kam ihm ein junger Leutnant entgegen. „Guten Morgen, Herr Oberstleutnant“, der Leutnant war außer Atem. „Habe Sie schon gesehen. Ein Hauptmann Langer aus Ingolstadt wartet auf Sie. Dringend. Sitzt in Ihrem Dienstzimmer. Was er will, wolle er nur Ihnen sagen.“ Oberstleutnant Rosner sah seine Ordonnanz an. So kannte er Leutnant Wilhelm gar nicht. Aber gut. Jeder Tag bringt eine Überraschung. Mal sehen, was der Hauptmann wollte.

Hauptmann Langer sprang auf, als Rosner sein Dienstzimmer betrat. „Hauptmann Langer von der Demobilisierungsstelle Ingolstadt zur Stelle“, meldete er. Rosner sah ihn an, hängte seinen Mantel an die Garderobe und schnallte sein Koppel ab. Er zog die Pistole aus dem Holster und legte sie in eine Schreibtischschublade. „Also raus mit der Sprache, Hauptmann.“

„Jawohl, Herr Oberstleutnant.“ Langer druckste herum, seine Zackigkeit war wie von ihm abgefallen, und er stand vor Rosner wie ein Rekrut. „Na los doch, junger Mann, bei den Damen sind Sie ja auch nicht so schüchtern.“ Als Langer seinen Rapport begonnen hatte, verfärbte sich Gesicht seines Gegenübers, es wurde grau. Nur die Augen blitzten. Dann kam das Gewitter.

„Sie wollen mir also allen Ernstes sagen, dass 1919 mehrere Fluggeräte illegal an der französischen Kontrollkommission vorbei, auf einem Bauernhof eingelagert wurden? In einem Zivilobjekt? Und 1921 wurden sie abtransportiert, wohin auch immer – und jetzt wird der Reichswehr gedroht, diesen Vorgang der Entente-Kommission mitzuteilen? Wollen Sie das wirklich so melden?“

Hauptmann Langer wurde es merklich unwohl. Er wusste um die Brisanz: Mit der Entente, dem Bündnis der Siegermächte nach dem Krieg, war nicht zu spaßen. „Ich kann Ihnen nur den Sachverhalt schildern, wie er sich zuträgt. Mehr nicht.“

Rosner stand auf. Entgegen seiner Gewohnheit erst abends zu rauchen, trat er an das große Flügelfenster und zündete sich eine Zigarette an. „Ich habe Ihnen den Vorgang auch schriftlich dargelegt“, ließ sich der Hauptmann vernehmen. Seine Stimme klang unsicher.

Rosner dreht sich um. „Also rekapitulieren wir. Zehn Fokker D III werden in Schleißheim zerlegt und nach Ingolstadt transportiert. Dort sollen sie nach Frankreich transportiert werden. Unterwegs verschwinden sie. Werden auf einem Gehöft bei Schrobenhausen eingelagert und 1921 wieder ausgelagert. Und dann kommt der Besitzer des Hofes präsentiert ein paar Papiere und stellt Forderungen. Lassen Sie ihn. Damit kommt er nicht durch, das beweist gar nichts.“ Rosner nahm wieder am Schreibtisch Platz.

„Doch“, erwiderte Langer, öffnete seine Aktentasche und reichte dem Oberstleutnant eine Stapel Papiere. „Frachtbrief der deutschen Reichswehr“ stand in großen Lettern auf dem Deckblatt. Rosner blätterte in den Dokumenten. Jetzt war ihm klar, warum sein Gegenüber so aufgeregt war. Wenn das publik würde …

„Die Franzosen können diesen Vorgang nachvollziehen, klarer Bruch des Versailler Vertrages“, stellte er fest. „Mit dem Vogel hier können die einmarschieren. Mensch Langer, die holen uns die Reichswehr aus den Kasernen und stellen Bayern unters Kriegsrecht.“

Nach Kriegsende waren mal Karabiner, mal ein paar Handgranaten oder Pistolen verschwunden. Aber Fokker DIII. Das modernste Kampfflugzeug Ende des Krieges. Hochdecker, wendig im Luftkampf. „Woher haben Sie das?“ Rosner zeigte auf den Papierstoß.

„Vom Besitzer des Hofs“, erklärte Langer. Er wolle, fuhr er fort, „nur eine Weiterführung des einträglichen Geschäftes mit uns. Hat sogar geplant, seine Wagenremise auf dem Hof zu vergrößern. Wir haben ihm eine weitere Zahlung angeboten, aber er lehnt ab. Insgesamt hat er über die Jahre etwa 50000 Mark in Silber von uns erhalten. Er verfügt über weitere neun Frachtbriefe mit Stempel und Unterschrift der abgehenden Dienststelle, hier Oberschleißheim. Sind sogar die Werknummern der DIIIs aufgeführt. Und die Stempel der alliierten Kontrollkommission.“ Jetzt war Eile geboten. „Sie halten sich zu meiner Verfügung“, bestimmte der Abwehroffizier.

Fortsetzung folgt