Neuburg/Kleinhohenried
Heiße Phase für Hinterkaifeck-Stück

Neuburger Volkstheater probt am Öxler-Hof für die Premiere am 8. Juli

20.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:04 Uhr
Josef Heumann

Der lange hauptverdächtige Lorenz Schlittenbauer (Martin Göbel) zieht Bilanz. Neben ihm stehen seine vermeintlichen Opfer Viktoria (Ulrike Stuhlfelder, v.l.), Cilli (Adriana Zimmermann), die Magd Maria (Melanie Dachs-Rößler) und Cäcilia Gruber (Nicola Göbel). Fotos: Heumann

Von Josef Heumann

Kleinhohenried/Neuburg – Nein, ein Vergnügen ist eine Theaterprobe unter diesen Vorzeichen nicht: Die Handy-App zeigt mehr als 30 Grad an, Schatten gibt’s wenig, und an diesem frühen Sonntagabend ist es auf dem Gelände des Hauses im Moos auch ausgesprochen windstill. Doch die Akteure vor dem Öxler-Hof müssen da durch. Am 8. Juli ist Premiere für das jüngste, nicht gerade kleine Unterfangen des Neuburger Volkstheaters: dem grausigen, nach wie vor die Menschen bewegenden Geschehen, das untrennbar mit dem Namen des verwunschenen, und längst verschwundenen Flecken Hinterkaifeck verbunden ist, Bühnenleben einzuverleiben.

Und Spielleiter Oliver Vief mag’s originalgetreu, was ob des unter den Begriffen Missbrauch und Mord noch gnädig umschriebenen Geschehens dem Stück auch ein (freiwilliges) Jugendverbot „Ab 16!“ einbrachte. Authentisch, das heißt trotz der erwähnten hohen Temperaturen, dass ein Bauer unter seiner Arbeitshose aus kräftigstem Zwirn noch eine lange Unterhose trägt. Die Uniformen der Gendarmen sind hochgeschlossen und die bessren Leute tragen Anzug mit Weste darunter, auf eine Beerdigung geht man in bester Tracht.

Gab es einst für den legendären Neuburger „Jedermann“ keine trefflichere Kulisse als vor der Hofkirche, geht das Volkstheater diesmal gewissermaßen fremd. Der Öxler-Hof auf dem Gelände des Hauses im Moos kommt dem Original, das schon bald nach der schaurigen Mord-Serie abgerissen wurde, recht nahe – ja so könnte das alles einst gewesen sein. Wobei der Konjunktiv für den Regisseur eine große Bedeutung hat: „Wir spielen Theater, wir spielen ein Theaterstück, wollen nicht den Fall Hinterkaifeck ein weiteres Mal klären“, sagt Vief. Die Unterscheidung ist ihm enorm wichtig, denn in einem ganz entscheidenden Punkt rückt sein Theaterstück doch recht deutlich von der Meinung des Autors ab. Für den Schweizer Adolf J. Köppel gilt der Fall spätestens mit seinen zwei Büchern ein für alle Mal als gelöst.

„Das ist sicher so nicht möglich. Was uns sehr viel mehr interessiert, sind diese Vorverurteilungen, wenn Sachen vorschnell für geklärt erklärt werden“, erklärt Vief. Der Stoff, dessen Ursprung sich gerade zum hundertsten Mal gejährt hat, muss einen Mann des Volkstheaters einfach reizen – zumal, wenn er selbst aus dem Moos kommt. Hier bei der Feuerwehr in Untermaxfeld fing Vief als 14-, 15-Jähriger mit dem Theaterspielen an, das ihn fortan nie mehr losließ. Irgendwann wurden dann auch die Mitglieder des Neuburger Volkstheaters auf das Talent aufmerksam, zunächst erhielt Vief eine kleine Rolle in Ludwig Anzengrubers „G’wissenswurm“, dann durfte er schon den Mammon im „Jedermann“ geben.

Bald warteten größere Aufgaben auf ihn, Vief nahm privaten Regie-Unterricht bei einem renommierten Lehrer in Nürnberg. Zuletzt war das Volkstheater eher im heiteren Fach unterwegs, „Hinterkaifeck“ ist zweifelsohne die größte Herausforderung. Der historische Fall ist rasch erzählt: In der Nacht vom 31. März aus 1. April 1922 kamen auf dem Einödhof der Bauer Andreas Gruber (63), dessen Frau Cäcilia (72), die Tochter Viktoria (35), deren Kinder Cäcilia (8) und Josef (2) sowie die Magd Maria Baumgartner (44) zu Tode.

Weil, sagen wir einmal so, die ermittelnden Stellen auf solch ein Ereignis damals nicht hinlänglich eingerichtet waren, wurde der Fall nie geklärt. Was in Folge die Fantasie desto freier walten ließ, bis hin zu Thesen, dass gar Geschäfte mit schwerem Kriegsgerät mit im Spiel waren, von Erpressung und Aktionen der Reichswehr ist die Rede. Am übelsten, auch lange Zeit danach, wurde der Familie des seinerzeitigen Ortsführers Lorenz Schlittenbauer mitgespielt, der lange ein Hauptverdächtiger war. Ihm, gespielt von Martin Göbel, gehört jetzt auch das letzte Wort in dem Stück vor dem Öxler-Hof. In einer Art Apotheose, die noch einmal die Frage nach Schuld und Vorverurteilung aufwirft, treten die vier getöteten Frauen ihm zur Seite: War’s wirklich so, wie das Spiel es zeigen will?

Der Eindruck vom Sonntagabend trügt nicht: Eigentlich steht das Stück, in den Dialogen, in den ganzen Personen-Konstellationen. Jetzt beginnt, nicht allein wegen des Wetters, die heiße Phase. Erst jetzt kommen Technik, Ton und Licht, und die ganzen bühnenwirksamen Requisiten dazu, echte Kutschen, ein 22er-Oldtimer gar. Das alles verändert die ach so sicher schon erlernten, sicher eingeprobten Abläufe noch einmal gänzlich. Es ist eben etwas total anderes, wenn plötzlich Pferde neben einem stehen und nicht mehr nur ein paar Kulissenschieber. Aber den Umgang mit dem Großformat ist man beim Neuburger Volkstheater schon gewohnt. Am 8. Juli ist Premiere, wegen der starken Nachfrage sind drei Zusatzvorstellungen am 28., 29. und 30. Juli schon angehängt.

Parallel dazu zeigt das Volkstheater ebenfalls auf dem Areal vom Haus im Moos am 16., 23. und 30. Juli für Kinder das Märchen um die Bremer Stadtmusikanten, Probeneindrücke davon sind auch bei den Erlebnistagen auf dem Museumsareal am kommenden Wochenende schon zu entdecken. Außerdem ist noch die zum Thema passende Bilder-Ausstellung von Thomas Königsbauer zu sehen.

DK