Kleinhohenried
Gelungene Premiere von „Die Lerche von Hinterkaifeck“

10.07.2022 | Stand 22.09.2023, 21:22 Uhr

Nur kurze Momente der Geborgenheit und liebevoller Zuwendung findet Viktoria Gabriel (Ulrike Stuhlfelder) bei Lorenz Schlittenbauer (Martin Göbel). Die kommenden Aufführungen von „Die Lerche von Hinterkaifeck“ sind bereits ausgebucht. Foto: Budke

Von Heidrun Budke

Kleinhohenried – Perfekte Kulisse, passende und teils überraschende Requisiten, grandiose schauspielerische Leistungen – das alles sorgte dafür, dass die Premiere des Freilicht-Stückes „Die Lerche von Hinterkaifeck“ des Neuburger Volkstheaters am Freitagabend ein Erfolg war – und dem Publikum lange in Erinnerung bleiben wird.



Ob man nun der Lösung des Autoren Adolf J. Köppel folgen mag oder nicht, spielt keine Rolle – das Stück fesselt als Theater, dem die Leidenschaft der Macher in jeder Szene anzumerken ist. Alles ist von Anfang bis Ende durchdacht – bis ins Detail. Das beginnt mit der Idee, das Stück im Biergarten beginnen zu lassen. Zwei Stunden vor Start der Aufführung ist bereits Einlass im Rosinger Hof. Spätestens ab 19 Uhr sind die Tische gut besetzt. Mit traditioneller Blasmusik sorgt die Königsmooser Musi für passende Stimmung. Unter den Gästen reichlich politische Prominenz aus dem Landkreis, Sponsoren-Vertreter und Mitglieder befreundeter Theatervereine.

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Schnell fühlen sich die Zuschauer als Gast auf dem Gröbener Dorffest, denn der Bürgermeister (Alfons Artner) bittet um Abstimmung zur Wahl von Lorenz Schlittenbauer (Martin Göbel) zum Ortsführer: Alle Hände schnellen hoch, schließlich wurde Schlittenbauer als „gottesfürchtiger, aufrichtiger und ehrlicher Mensch“ angepriesen. Wie es sich auf einem Dorffest gehört, singt der Kirchenchor. In dessen Mitte die bewunderte Solo-Sängerin, die Lerche von Hinterkaifeck, Viktoria Gabriel (Ulrike Stuhlfelder). Sie trägt einen leuchtend-blauen Hut, der ein Symbol wird für den berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen wird – was in diesem Fall auf bekannt-tragische Weise endet.

Zweiter Akt: Das Drama nimmt seinen Lauf

Zum zweiten Akt hat das Publikum seine Plätze auf der Tribüne mit Blickrichtung auf den Sonnenuntergang und auf den Öxlerhof eingenommen. Die Kulisse passt perfekt, so könnte es in Hinterkaifeck ausgesehen haben. Auch bei der Ausstattung wurde detailgetreu darauf geachtet, die Zeit von vor Hundert Jahren widerzuspiegeln. Das betrifft Werkzeuge, Kleidung und Fortbewegungsmittel gleichermaßen.



Was in diesem Akt passiert, ist bekannt: Andreas Gruber (Sepp Reichart) ist ein brutal herrschender Diktator, der seine Tochter Viktoria verprügelt und vergewaltigt. Als er gleiches der kleinen Cilli (Adriana Zimmermann) antun will und Viktoria einschreitet, beginnt der Blutrausch. Die Darstellung der Vergewaltigungsszenen wie auch der Morde ist weitgehend geschickt gelöst, weil zu einem guten Teil verdeckt durch den Strohwagen vor dem Eingang zum Stadel oder nur schemenhaft sichtbar durch beleuchtete Fenster.

Trotzdem ist das nichts für Leute, die es gern harmonisch haben: Es wird viel und äußerst zünftig geflucht, wütend oder verzweifelt gebrüllt. Manche Szene wünschen sich sensible Gemüter etwas weniger ausschweifend, laut oder brutal. Allerdings hatte der Verein im Vorfeld nicht zuletzt mit der Freigabe ab 16 Jahren darauf hingewiesen, dass es hier und da heftig werde. Gleichzeitig ist es ja ein großes Kompliment an die Macher, wie etwa den Regisseur Oliver Vief, und an die Darsteller: Egal, ob große oder kleine Rollen – alle verkörpern ihre Figuren so glaubhaft, dass den Zuschauern die Geschichte nahegeht, sie berührt, abstößt, mitfühlen lässt.

„Zum Glück sind diese Zeiten vorbei“, flüstert eine Zuschauerin, als Gruber brüllend über den Hof läuft. Ihm gegenüber stehen die tatenlose Mutter, die verängstige Cilli und Viktoria, die es irgendwann nicht mehr aushält und aufbegehrt. Lorenz Schlittenbauer will Viktoria retten – bis er erkennt, dass er ein „Depp“ ist in seiner Hilfsbereitschaft und Liebe. So sagt er voraus: „Lang schaut sich der Herrgott das nicht mehr an.“ Und auch er ist in diesem Stück kein durchweg guter Mensch.Letztlich tauscht der Gruber im Laufe des zweiten Aktes die Sense, die er bis dahin in der Hand hielt, gegen die Reuthaue und als die Sonne am realen Öxlerhof untergeht, nimmt das Drama in Hinterkaifeck seinen Lauf.

Zwischen Schrecken und Stille

Trotz der Tragik gelingt es dem Volkstheater immer wieder, zwischen den lauten, brutalen Szenen ganz stille, ruhige zu spielen, etwa wenn Cilli die Hühner füttert, oder komödiantische, wenn das Kaffeeverkäufer-Paar am Hof auftaucht. Das gewährt den Zuschauern ein wenig Entspannung von dem Schrecken.

Nach der Pause im dritten Akt lebt auch Andreas Gruber nicht mehr lang – eine sehr gelungene Szene mit dem gekonnten Einsatz von Kunstblut. Der bornierte Kommissar (Walter Binknus) schließt den Fall voreilig als Raubmord ab, zwei Pathologen (Michael Kettl, Quirin Vief) sezieren die Leichen noch auf dem Hof, bis diese zur Beerdigung abtransportiert werden. Die letzte gesungene Szene – davon gibt es mehrere – ist still und stimmt nachdenklich. Das Ensemble hätte viel mehr Applaus verdient, als die Zuschauer spendeten. Das mag daran gelegen haben, dass es um halb zwölf sehr spät und kalt war.

DK