Altmannstein
Wo sich Fuchs und Reh gute Nacht sagen

Ein Abend auf dem Hochsitz mit Jungjäger Lukas Pfaller aus Schamhaupten

11.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:22 Uhr

Nicht nur Wild, sondern auch ein stimmungsvoller Sonnenuntergang lässt sich auf der Kanzel beobachten. Fotos: Sonnenmoser

Von Anna Sonnenmoser

Schamhaupten – Die satt dunkelgrünen Halme des Weizenfeldes wiegen sich träge im Wind, die Sonne steht schon tief, bis auf das Vogelgezwitscher ist es still. Lukas Pfaller sitzt, die Szene überblickend, auf einem Hochsitz am Waldrand. Er sitzt ruhig da, fast lautlos. Sein Blick schweift langsam über die sich vor ihm ausbreitende Idylle, eine gewisse Trägheit scheint auch ihn ergriffen zu haben. Dann kommt schlagartig Leben in ihn, sein Blick ist wach zu einem roten Schatten auf dem Feldweg gesprungen – Ein Fuchs mit genauso wachem Blick ist wie aus dem Nichts aufgetaucht, schaut sich aufmerksam um und hüpft dann in das wogende Grün, sein Kopf und der buschige Schwanz tauchen noch einige Male für einen Sekundenbruchteil auf, dann ist er wieder verschwunden, verschluckt vom Weizenmeer.

Die Jagd ist bei jungen Menschen wieder im Trend

Oben blitzen die Augen von Pfaller, der kurze Moment hat ihn völlig wach gemacht. Neben ihm lehnt ein Gewehr an der Wand der geräumigen Jagdkanzel, irgendwo Richtung Schafshill am Waldrand gelegen. Es ist Freitagabend, den 20 Jahre alten Pfaller aus Schamhaupten hätte man vielleicht eher in einer Kneipe vermutet, statt auf einem Hochsitz mitten im idyllischen Nirgendwo. Doch er ist keine exotische Ausnahme – immer mehr junge Menschen in Bayern machen den Jagdschein. Was macht für sie die Faszination an der Jagd aus?

Das erste Highlight des Abends – der Fuchs – hat sich erst um 20.40 Uhr die Ehre gegeben, seit 19 Uhr sitzt Pfaller bereits draußen. Nicht ungewöhnlich, wie er sagt. Wie er zur Jagd gekommen ist? Einen speziellen Auslöser gab es nicht, sagt er: „Vorgehabt habe ich es schon lange, es hat mich irgendwie schon immer interessiert.“ Seit zwei Jahren besitzt er nun den richtigen Jagdschein, davor hatte er ein halbes Jahr den Jugendjagdschein gelöst, da er noch nicht 18 war. Ganz aus dem Nichts kam der Wunsch aber nicht, sein Vater ist Jäger und viele Bekannte auch, er ist mit der Jagd aufgewachsen, der Vater hat ihn ab und an mitgenommen.

Gegen 19.45 Uhr sammeln sich mehr und mehr Tauben auf dem braunen Acker rechts von der Kanzel, sie picken vor sich hin, Pfaller schaut kurz hinüber, die Vögel verlieren aber bald seine Aufmerksamkeit. Kurz darauf hoppelt ein Hase über den Feldweg – plötzlich stieben die Tauben auseinander. Seine Hand schnellt zum Fernglas, was hat die Tauben nur aufgeschreckt? In den nächsten Minuten wandert sein Blick immer wieder an die Stelle, zunächst geschieht jedoch nichts, kein Wild lässt sich blicken.

Am Jagen gefällt ihm vor allem das draußen in der Natur sein und die Gemeinschaft. In dem Revier, in dem er raus geht, gibt es vier weitere Jungjäger, mit denen er oft zusammen ist. Er ist modern und praktisch gekleidet, nicht so, wie man sich den traditionellen Jäger mit Lodenmantel und Filzhut vorstellt. Er trägt eine dunkelbraune Fleecejacke, eine hellbraune Funktionshose mit dunkelbraunen Einsätzen und ebenfalls braune Wanderstiefel. Dabei hat er ein Fernglas, Gehörschutz, Munition und sein Gewehr. Das wird er an diesem Abend sehr viel weniger in der Hand haben, als so mancher vielleicht vermutet.

Nach langer Wartezeit lässt sich doch noch Wild blicken

20.45 Uhr, die Sonne ist fast in Gänze verschwunden, stakst ein schmales, braunes, etwa hüfthohes Tier auf den Acker, genau dort, wo sich zuvor die Tauben versammelt haben. Pfaller hat nicht das Gewehr, sondern das Fernglas an den Augen, lange beobachtet er das Tier. „Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Schmalreh oder eine Geiß ist“, sagt er leise.

Ein Schmalreh ist ein weibliches Reh im zweiten Lebensjahr, wenn das weibliche Reh dann älter wird, wird es Geiß genannt. Das Schmalreh hätte jetzt Jagdzeit, die Geiß jedoch nicht, sie darf erst wieder im September geschossen werden, da sie jetzt kurz vor dem Setzen ist oder vor Kurzem gesetzt hat, und sich nun um die Jungen kümmern muss, erklärt Pfaller. Unter Setzen versteht man in der Jägersprache die Geburt des Rehkitz.

Kurze Zeit später ist er sicher: „Es ist ein Schmalreh.“ Das Gewehr nimmt Pfaller aber zunächst nur wegen der besseren Vergrößerung in die Hand, wie er erklärt. „So wie es gerade steht, darf ich es auf keinen Fall schießen. Es steht über der Kuppe, da habe ich keinen Kugelfang“, sagt er.

Keinen Kugelfang zu haben, erklärt er, bedeutet, dass das Projektil nach dem Austreten aus dem Körper des Wilds nicht in eine natürliche Barriere, beispielsweise den Boden, eindringt und somit eine unkontrollierbare Gefahr darstellt.

21 Uhr, die Sonne ist verschwunden, der Himmel leuchtet rosa, das Schmalreh bewegt sich in die für Pfaller falsche Richtung. Ein Bellen zerreißt die Stille. Ein Hund? – „Nein, das ist ein Reh. Das nennt man Schrecken. Es ist eine Art Warnsignal der Tiere, wenn sie etwas aufgeschreckt hat“, erklärt er mit leiser Stimme. Das Schmalreh steht derweil immer noch im sicheren Gebiet und ist vom Warnruf des Artgenossen unbeeindruckt. Kurze Zeit später tritt ein weiteres Tier auf das Feld hinaus und gesellt sich zu dem äsenden Schmalreh. „Das ist ein Bock“, sagt Pfaller sofort. Der Blick ist wach, die Körperspannung da, die Bewegungen langsam und bedacht, während er die beiden Tiere durch das Fernrohr seines Gewehrs beobachtet. Wird sich eines der Tiere doch noch in eine günstigere Schussposition bewegen? Die Zeit wird knapp, es wird immer dunkler.

21.23 Uhr, Pfaller wirft einen letzten Blick durch das Fernglas, lässt es schließlich sinken. Der Bock ist weiter nach links gewandert. „So wie er jetzt steht, könnte man ihn schießen, jetzt ist es aber zu dunkel, um einen sicheren Schuss abzugeben“, sagt er, immer noch leise. Die Jagd ist für ihn an diesem Abend zu Ende.

Eine Frage ist offen geblieben: Warum hat Pfaller den Fuchs nicht geschossen? „Jetzt schießt man keinen Fuchs, da die Fuchswelpen noch nicht selbstständig sind und sich bei Füchsen beide Elternteile an der Aufzucht beteiligen“, erklärt er. Erst Ende Juli, besser Anfang August, sei es wieder erlaubt, Füchse zu schießen. Sein Gewehr ist heute nicht zum Einsatz gekommen. Als er, um das Wild nicht zu erschrecken, möglichst leise am Waldrand zu seinem Auto zurückgeht, wirkt er nicht enttäuscht. Nein, Lukas Pfaller ist zufrieden.

DK