Mit Tempo 100 bis nach Passau
Gewagter Sprung ins Bodenlose: In Jachenhausen sind wieder Drachenflieger aktiv

29.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:34 Uhr

Schon seit mehr als 40 Jahren starten in Jachenhausen Drachenflieger. Hier wagt eine Sportlerin des 1. ODFC Riedenburg den Sprung ins Nichts. Fotos: Rast

Ihr Mut ist bewundernswert. Das rund 27 Kilogramm schwere Fluggerät auf dem Rücken, laufen die Piloten die Startrampe im Riedenburger Ortsteil Jachenhausen hinab und stürzen sich ins Bodenlose. Dann schweben sie: über dem Wald an den Jurahängen, dem Main-Donau-Kanal, dem Ort Haidhof, dem Badesee St. Agatha, dem Altmühltal.



Rudi Aumer genießt dieses Gefühl der Freiheit und Schwerelosigkeit bereits seit dem Jahr 1976. Damals schulte der Kelheimer vom Wildwasserfahren auf das Drachenfliegen um. Die Einheimischen sprachen weiland noch halb belustigt, halb respektvoll von den „Vogelmenschen“, die tollkühn ins Nichts sprangen. Die professionelle Startrampe in Jachenhausen habe es anfangs noch nicht gegeben, erinnert sich der 64-Jährige. Der Ort wird bereits seit 1978 beflogen. Die Piloten seien zunächst einfach auf die Felskante zugerannt.

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Für Aumer war es der Sprung in eine internationale Karriere. Er war Mitglied der Nationalmannschaft, startete bei fliegerischen Wettbewerben unter anderem in Australien und China. Er weiß, was es bedeutet, sieben bis zehn Stunden in der Luft zu sein. Seit 1986 arbeitet er unter anderem als Fluglehrer. Der gelernte Maschinenbauer kennt seine Fluggeräte aus dem Effeff und entwickelte sie technisch weiter.

Bei Vereinsmeisterschaft starteten zwölf Piloten

Die heutigen High-Tech-Flugmaschinen haben kaum noch eine Ähnlichkeit mit den Geräten, denen die ersten Piloten Leib und Leben anvertraut hatten. „Sie sind sehr leicht, es gibt wenig Möglichkeiten für Beschädigungen“, weiß Aumer, der auch als Luftsportberater tätig ist. Verschleißteile wie Stahlseile und Rohre würden alle zwei Jahre akribisch geprüft und eventuell ausgetauscht. Die Piloten erhalten während des Fluges GPS-Daten und verfügen über einen Höhenmesser.

Am vergangenen Wochenende richtete der 1. ODFC (Oberpfälzer Drachenfliegerclub) Riedenburg wieder seine Vereinsmeisterschaft aus. Bei optimalen Wetterbedingungen starteten zwölf Piloten zum Kampf um Wertungspunkte und blieben jeweils rund zwei Stunden in der Luft. Die Thermik schraubte sie von der 500 Meter hoch gelegenen Startrampe in Jachenhausen bis auf etwa 2000 Meter über dem Meeresspiegel.

„Man ist den Elementen näher“

Der Verein habe derzeit etwa 60 Mitglieder, berichtet der Vorsitzende Peter Kühnel, der aus Lauingen kommt und den seine Leidenschaft fürs Fliegen bis ins Altmühltal treibt. Auch vier Frauen seien aktiv, die Sportart ist längst keine Männerdomäne mehr. „Wir fliegen ohne Motor nur durch die Thermik, die Kraft der Sonne“, schwärmt Kühnel. Viele Jahre hat er Segelflugzeuge gesteuert. Doch der Flug mit dem Drachen fasziniert ihn am meisten: „Man ist den Elementen näher.“

Trotz der in die Zeit passenden ökologischen Antriebsart hat der Flugbetrieb in Jachenhausen in den vergangenen Jahren nachgelassen. Dafür zählen die beiden Profis ein Bündel an Gründen auf. Für die Drachenflieger gibt es immer mehr Startmöglichkeiten. Kleinflugzeuge verfügen über immer leistungsstärkere Motoren, was den Flugzeugschlepp attraktiv macht. In Schweinkofen gibt es eine Winde, mit der sich die Drachenflieger hochkatapultieren lassen. Nicht zuletzt hat der Bau des Main-Donau-Kanals die Thermik im Altmühltal verschlechtert. Das Wasser in der Schifffahrtsstraße kühlt die von den Hängen aufsteigende Warmluft ab. Nicht zuletzt gibt es in Jachenhausen immer seltener die für die Piloten entscheidenden Westwindlagen. Das könnte eine Folge des Klimawandels sein. „Wenn der Wind mit elf bis 15 Stundenkilometern von vorne kommt, dann kann man starten und bleibt sicher in der Luft“, weiß Aumer aus langjähriger Erfahrung.

Aumer: „Insbesondere für junge Menschen sei Drachenfliegen eine wichtige Sportart“

Derlei perfekte Bedingungen herrschten am vergangenen Samstag, die Luft sei zwar „unruhig“ gewesen, aber die Thermik schob die Piloten bis hoch über die Jurahöhen. Am vergangenen Sonntag erwies sich das Wetter trotz der Hitze als weniger geeignet. Generell sind von Jachenhausen aus Flüge bis nach Passau möglich. Dabei erreichen moderne Drachen Spitzengeschwindigkeiten zwischen 100 und 120 Kilometern pro Stunde. Dabei gilt die Regel: Je leistungsstärker in Drache ist, desto besser muss der Pilot fliegen können. Für den Ernstfall haben sie aber einen Fallschirm dabei.

Das Gelände mit dem Startplatz in Jachenhausen wurde vom ODFC Riedenburg vor vielen Jahren gekauft. Die Nutzer fühlen sich dem Umweltgedanken verpflichtet und versuchen, die angrenzenden Trockenrasen so wenig wie möglich zu belasten. Aumer hat in seinem langen Fliegerleben hunderte von Startplätzen erprobt. Doch das vermochte seine Begeisterung für Jachenhausen nicht zu schmälern: „Jachenhausen ist für die Piloten nicht gefährlich, aber es ist das anspruchsvollste Gelände das es gibt.“ Man müsse gleich eine Thermik erreichen, andernfalls bleibe nur die Landung im Tal.

Insbesondere für junge Menschen sei Drachenfliegen eine wichtige Sportart, weiß Aumer. Sie lehre Sorgfaltspflicht, Entscheidungsfreude und die Übernahme von Verantwortung. Deshalb bedauert er, dass die Ausbildung des Nachwuchses wegen der ständigen Beschwerden der Anwohner von Flugplätzen immer schwieriger werde. Die Kritiker stießen sich an den mit Flugzeuglärm verbundenen Starts.

Umso mehr freut sich Aumer, dass zwei seiner Söhne die Leidenschaft ihres Vaters teilen: „Beide fliegen in der deutschen Spitze mit.“ So schwebten am vergangenen Samstag drei Familienmitglieder nahe beieinander über den Jurahöhen. Für Rudi Aumer war es das höchste Glücksgefühl: „Drachenfliegen ist unschlagbar.“

rat