Turbulentes Crossover
Theatertage der Realschulen in Eichstätt: Senefelder-Schule Treuchtlingen begeistert mit „Shakesbeer“

17.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:58 Uhr

Romeo, der seiner Julia nachtrauert und dabei eine Pose einnimmt wie einst Leonardo di Caprio in „Titanic“. Foto: Luff

Bei den 36. Theatertagen der bayrischen Realschulen, die dieses Jahr in Eichstätt stattfinden, hat auch die Senefelder-Schule aus Treuchtlingen ein Stück aufgeführt.

Die Story ist so einfach wie genial: Drei Hexen wollen ihrem schnöden Hexenalltag entkommen und eröffnen kurzerhand die Bar „Shakesbeer“.

In diese laden sie die Stars und Protagonisten aus Märchen, Comics, griechischer Mythologie, klassischer Literatur, Film und Fantasy ein und bewirten sie mit gar zauberhaften Getränken wie Froschbrühe oder Ewigkeitswasser. In solch ungezwungener Atmosphäre geben sich die sonst so strahlenden Helden und Prinzessinnen ganz unverblümt privat und erlauben einen Blick hinter die Kulissen. Denn sie wissen ja nicht, dass Zuschauer im Raum sind und alles, was sie sprechen und tun, genauestens registrieren. Peinliche Situationen und zerstörte Illusionen sind also vorprogrammiert.

Die 25 Schauspielerinnen und Akteure der Senefelder-Schule Treuchtlingen schrieben und produzierten ihr Stück selbst. Zwar fanden sie in Gabriele Foltis eine höchst kompetente Spielleiterin, doch die Ideen entwickelten bereits vor der Pandemie die Schülerinnen und Schüler der 6. bis 11. Klassen, wie sie im Bühnengespräch nach der vielumjubelten Aufführung im Alten Stadttheater erklärten. Dabei profitierten sie von der einmaligen Konstellation einer Theatergruppe an einer Gesamtschule, die für Mittelschüler, Realschüler und Gymnasiasten offen ist. Selbst das aufwendige Bühnenbild einschließlich Bar stellten sie selbst her.

Die drei Gastgeberinnen des turbulenten Bühnengeschehens, das keine zeitlichen Grenzen kennt und alle Genres spielerisch überschreitet, kündigen dem Publikum zu Beginn Sensationelles an: Promis aus Märchen, Büchern, Filmen und Comics werden sich ahnungslos auf ihr böses Spiel einlassen und ihr wahres Gesicht zeigen. Denn sie wissen nicht, was sie tun – sprich: dass es zahlreiche Zeugen gibt.

Damit aber stellt sich auch die Frage der Identität: Wer bin ich und kennt man mich überhaupt noch? Was erwartet man heute von einem Helden? Und muss dieser überhaupt immer männlich sein? Muss er nicht, denn 21 Rollen werden von Mädchen gespielt.

Der Wolf flieht zuerst aus seinem Märchen „Rotkäppchen“ und lässt sich auf dieses Spiel ein, das schöne und unschöne Überraschungen bereithält. Es folgen Lucky Luke und Tim (ohne Struppi) und nach und nach füllt sich die Bühne mit immer neuen Gestalten, die wir alle lieben, weil sie in unserer Fantasie ein Zuhause gefunden haben. Oder weil wir sie aus Buch oder Film kennen, uns mit ihnen identifizieren oder sie fürchten. In jedem Falle sind mit den Akteuren, die sich alsbald zu einem lärmenden Haufen zusammenfinden, große Emotionen verbunden.

Da tritt plötzlich Alice aus dem Wunderland auf oder Hermine, die Professor Albus Dumbledore in ein Gespräch verwickelt. Nicht zu vergessen die Prinzessin auf der Erbse, die auf vier (statt sieben) Zwerge trifft, und Shakespeares Romeo, der in grenzenlosem Schmerz seiner Julia nachtrauert und dabei eine Pose einnimmt wie einst Leonardo di Caprio im Blockbuster „Titanic“ – bis Hamlet schließlich Julia herbeizaubert und es zur finalen Umarmung mit Happy End kommen kann. Und zwischen all diesen Gestalten, die nur in unserer Imagination zusammentreffen können, springt immer wieder ein teuflisch schreiendes Rumpelstilzchen herum und legt sich mit Darth Vader an.

Es sind diese fortwährenden Grenzüberschreitungen, die das Stück der Treuchtlinger Truppe so sehenswert machen. Stets neue Herausforderungen tun sich für die Protagonisten auf: Der Wolf trinkt zu viel, weil die Frauen so schlau geworden sind und sich einfach mehr fressen lassen. Aschenputtels Prinz betrügt sie, so dass sie ihn verlässt. Und drei der sieben Zwerge sind inzwischen den Verlockungen des Internets verfallen.

Immer wieder werden Elemente von Realityshow und Werbung eingeblendet und es entfaltet sich ein wahrhaft mediales Spektakel und Crossover der Genres: Die sonst so heile Märchenwelt ist völlig aus den Fugen geraten.

Natürlich ist Jack Sparrow eine Frau und Romeo und Julia werden als kitschiges Liebespaar entlarvt. Was bleibt nach dieser zerstörten Privatsphäre der großen Figuren?

Die Aufforderung, sich immer wieder neu zu entwerfen und an sich zu arbeiten. Sie gilt auch für das Publikum. Eine wirklich grandiose Eigenproduktion war im Alten Stadttheater zu sehen.

EK