Gier, Gerüchte und Gesellschaft

Im Weißenburger Bergwaldtheater prallen bei „Der größte Glückskeks“ Welten aufeinander

31.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:28 Uhr

Lebt er noch, der „Heilige Trinker“? Sigi Zimmerschied lag am Ende des Stücks auf dem Boden, getreten von einer gierigen Gesellschaft. Foto: Schneider

Von Marco Schneider

Weißenburg – Am Anfang steht ein Gerücht. Ein Gerücht, das einer Journalistin (Lisa Fedkenheuer) zugetragen wurde, und in dem sie ihren Durchbruch sieht: Das mittelfränkische Weißenburg, die historische kleine Stadt, soll in China nachgebaut werden. Besser, klimaneutral und schöner als das Original. Es passiert, was passieren muss. Die Bürger sind empört, die Stadtvorderen wittern ihre große Chance. Und beides prallt aufeinander – im „größten Glückskeks“. Als dann noch ein Obdachloser auftaucht und mit einem Lottogewinn von 45 Millionen Euro die Bürger aufruft, ihre Stadt zu verbessern, rasten die Menschen vollkommen aus – positiv wie negativ.

Spielt dieser „Glückskeks“ wirklich im Bergwaldtheater in Weißenburg? Ja! Aber: Er könnte auch in jeder anderen Kleinstadt situiert sein. Er könnte jede andere Bürgerschaft in Wallung bringen. Der österreichische Autor Clemens Berger, der der mittelfränkischen Kleinstadt als Stadtschreiber ein Theaterstück auf den Leib geschrieben hat, wollte das. Dass man selbst ins Nachdenken kommt. Selbst grübelt über die aktuellen Themen, die die Welt bewegen: politische Unruhen, Fake-News, Klimawandel, Verschwörungstheorien. Berger hat alles hineingepackt in dieses fast dreistündige Spektakel, das Georg Schmiedleitner inszeniert hat. In einer für den Regisseur typischen Art und Weise: laut, schrill, überzeichnend, auch einmal überraschend.

Wenn es auch die eine oder andere Szene gibt, die fast schon zu überzeichnet ist und auch die eine oder andere Rolle sich ihrer Sinnhaftigkeit nicht ganz erschließt: Das Stück, das auf der historischen Naturbühne im Weißenburger Stadtwald zu sehen ist, überzeugte auch Sigi Zimmerschied. Er geht in seiner Rolle des Alkoholikers, des Obdachlosen, des „heiligen Trinkers“ auf – wie das im Übrigen auch die Laienschauspieler allesamt tun. Das ist Schmiedleitner zum zweiten Mal gelungen: Profis wie Zimmerschied, Fedkenheuer und den als Polizist agierenden Lukas Hunecker zu einem Ensemble zu formen. Schmiedleitners Inszenierung des Berger’schen Stücks – Co-Regisseurin war Rebekka Gruber – hält der Gesellschaft den Spiegel vor.

Die Pläne der Stadtspitze, Weißenburg unter dem Druck des Klimatribunals autofrei zu mache, wollen die Bürger nicht auf sich sitzen lassen. Eben jene, die Zimmerschied in seiner Rolle als „Homo Weißenburgensis“ bezeichnet, denen ihre „Bürgerkäfig“ heilig sind. Er selbst ist ein Autogegner – warum, das löst sich am Ende des Stücks in einer durchaus überraschenden Szene auf. Die Klimapolitik des schmierig-schleimigen Bürgermeisters gipfelt in einem Sturm aufs Rathaus, via Video eingespielt (und vor einigen Wochen mit vielen Weißenburgern gedreht). Die Tumulte erinnern stark an den Sturm auf das Kapitol. Nur langsam beruhigen sich die Gemüter wieder – und am Ende stellen alle miteinander fest, wie vergiftet das Klima doch ist, in der Gesellschaft, in der Welt. Dass wir allesamt in einer verrückten Zeit leben. Und: Dass es oftmals nichts bringt, in die Zukunft zu schauen. Denn die erfährt, wer sie erlebt.

DK




ZUR PRODUKTION

Theater:

Bergwaldtheater Weißenburg Musikalische Leitung:
Alexandra Seubert-Harm,

Michael Gabler
Inszenierung:
Rebbeka Gruber,

Georg Schmiedleitner,

Antje Wagner, Angelina Loy
Bühne:
Johannes Voltz
Kostüme:
Elena Kolb

Weitere Vorstellungen:

4., 5., 6., und 7. August

Tickets:

glueckskeks.
bergwaldtheater.de/termine