„Kein realistisches Bild“
Eigentlich gut aufgestellt: Versorgungsgrad liegt für südlichen Landkreis Eichstätt bei 108,29 Prozent

28.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:21 Uhr

Sehr gut aufgestellt ist der südliche Landkreis Eichstätt bei der gesundheitlichen Versorgung – rein statistisch gesehen sogar überversorgt. Foto: Werner

Statistisch gesehen ist der südliche Landkreis Eichstätt in der gesundheitlichen Versorgung sehr gut aufgestellt. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) meldet für die Region einen Versorgungsgrad von 108,29 Prozent – also eigentlich eine Überversorgung.

Zweimal im Jahr wird die Zahl, die sich aus dem Verhältnis von Ärzten zu gemeldeten Einwohnern einer Region berechnet, veröffentlicht, teilt Axel Heise, Pressesprecher der KVB, mit. Gut gefüllte Wartezimmer und manchmal sogar Aufnahmestopps in den Praxen gehören jedoch auch in dieser Region zum Alltag. „Der Versorgungsgrad zeigt definitiv kein realistisches Bild“, sagt Allgemeinmediziner Wolfgang Hüttner. „Ich empfinde es nicht so, dass wir überversorgt sind – eher im Gegenteil. Es sind zu wenig Ärzte.“ Seit 1998 arbeitet Hüttner als Hausarzt in Lenting, die Praxis ist mit fünf Ärztinnen und Ärzten eine der größeren in der Region. „Von einer Überversorgung kann auf jeden Fall nicht gesprochen werden“, bestätigt auch Thomas Lips, er ist seit 25 Jahren mit seiner Praxis in Kösching ansässig.

Die Zahl ist irreführend



Warum der Versorgungsgrad irreführend sei, habe verschiedene Gründe, meint Hüttner. „In die Zahl fließen auch Ärzte, die nicht Vollzeit arbeiten.“ Und davon gebe es eben immer mehr. Ärzte im Rentenalter beispielsweise, die nicht mehr so viele Stunden arbeiten wie in den Jahren zuvor.

Die „neue Generation an Medizinern“ würde heute vermehrt in Teilzeit arbeiten, sagt der KVB-Sprecher Heise. „Für das Arbeitsvolumen, das früher ein Arzt geleistet hat, braucht es künftig gegebenenfalls zwei Ärzte in Teilzeit.“ Die zunehmenden Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse führen dazu, dass zwar jedes Jahr die Anzahl der Ärzte auf eine neue Rekordzahl steigt, aber immer weniger Ärzte letztlich für die Versorgung am Patienten zur Verfügung stehen, so Hüttner.

Medizin wird zunehmend weiblicher



Außerdem wird die Medizin immer weiblicher: „In den Studiengängen sind inzwischen deutlich mehr Frauen als Männer“, ergänzt Hüttner. Geht es dann um die Familienplanung, sind es eben immer noch oft die Frauen, die sich um die Kinder kümmern und ab diesem Zeitpunkt nur noch in Teilzeit arbeiten. 25 Sprechstunden pro Woche für einen Allgemeinmediziner reichen aus, um in die Statistik mit aufgenommen zu werden – dies verzerre die Aussagekraft des Versorgungsgrades.

„Bürokratiewust nicht mit Realität zu vereinbaren“



„Die Arbeitsbelastung nimmt definitiv zu“, stellt Hüttner fest. Nicht nur, dass er einen großen Zulauf von Patienten registriere, teils aus der weiteren Umgebung wie Nassenfels etwa. Für ihn ist es vor allem die „Bürokratie-Hölle“, die viel Zeit raube. Ob Reglementierungen der Kassenärztlichen Vereinigung oder das leidige Thema des Datenschutzes: „Gefühlt wird es jedes Jahr schlimmer. Der Bürokratiewulst ist mit der Realität nicht zu vereinbaren.“

Lips bestätigt: „Es kommen Patienten aus Ingolstadt nach Kösching. Es werden zunehmend mehr. Einige Kollegen der Umgebung nehmen inzwischen keine neuen Patienten mehr auf.“

Speziellere Krankheiten und umfangreichere Behandlungen



„Die Behandlungen werden umfangreicher und die Krankheiten spezieller“, stellt Hüttner fest. Die Patienten wollen zudem mehr Aufklärung als früher, das koste mehr Zeit. Es sei die Gesamtheit dieser Faktoren, die eben nicht bei der Berechnung des Versorgungsgrades berücksichtigt werden. Laut Lips kommen viele Menschen mit einer selbst recherchierten Diagnose aus dem Internet in die Praxis. „Da gibt es einige, die das recht gut gemacht haben. Viele liegen aber daneben – dann zu erklären, dass sie falsch liegen, das dauert.“

Eine Art Verschnaufpause für die Praxen gibt es nicht: Sind es im Winter vermehrt Menschen mit einer Infektion, nehmen im Sommer die Verletzungen zu – zusätzlich zu den Patienten mit chronischen Erkrankungen, sagt Hüttner. Zusätzlich kommen im Sommer mehr Patienten, deren Hausarzt urlaubsbedingt geschlossen ist, betont Lips. „Da kommt dann die Vertretungswelle.“

Weitere Herausforderung: Alter der Ärzte



Mindestens 50 Stunden sind es in der Woche, die Lips in der Praxis verbringt. Das Alter der Ärzte sei eine weitere Herausforderung. Im Durchschnitt sind die Mediziner in der Region 56 Jahre alt. „Es wird noch einige Jahre gut gehen, dann wird es zunehmend schwieriger werden, wenn viele der Ärzte in Rente gegangen sind.“ Das Thema Ärztemangel wird das Gesundheitswesen weiter beschäftigen, selbst in München würde geklagt werden. Einen kleinen Lichtblick gibt es trotzdem: „Gott sei Dank wollen aber wieder mehr Leute Allgemein-Mediziner werden, die Tendenz steigt“, sagt Lips.