Die Reihe der Autoren, die er in Vorlesungen und Seminaren behandelt hat, ist schier endlos und reicht in Auswahl von Gottfried Benn, Bert Brecht und Georg Büchner über Annette von Droste-Hülshoff, Dürrenmatt und Eichendorff bis hin zu Kafka, Keller, Schiller, Trakl und Christa Wolf. Aber vor allem taucht immer wieder Johann Wolfgang von Goethe auf: „Das ist sozusagen mein Hausautor“, sagt der Eichstätter Emeritus Günter Niggl, der als Germanistikprofessor zum Gründervater der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft (NDL) an der Eichstätter Hochschule wurde. An diesem Freitag wird er 90 Jahre alt.
Dieses Alter hindert ihn keineswegs daran, weiter Forschung zu betreiben: Derzeit arbeitet er an einer Monographie über die „Auseinandersetzung deutscher Autoren des späten 18. Jahrhunderts mit antiker Dichtung“. Geboren wurde er in Augsburg als Sohn des Studienrats Hans Niggl und seiner Frau Erna; zur Familie gehörte noch die jüngere Schwester Elisabeth. Nach dem humanistischen Abitur in Augsburg ging es zum Studium der Germanistik, Geschichte und Katholischen Theologie nach München und Berlin, bevor nach dem Staatsexamen 1959 in den 1960er-Jahren die Promotion in München mit einer Dissertation über das Thema „Fromm bei Goethe“ folgte. In einer späteren Monographie beschäftigte ihn auch die „Religion in Goethes Dichtung“ (2010). Stolz ist er auf Goethes „Werkausgabe letzter Hand“, die seine Bibliothek krönt, er hatte sie bereits als Student erworben.
Nach der Habilitation („Die Geschichte der deutschen Autobiographie im 18. Jahrhundert“) absolvierte er in den 1970er-Jahren wissenschaftliche Stationen in Trier, Regensburg, Freiburg und wieder München. 1974 wurde Sohn Bernhard geboren, die Ehe mit seiner Frau Irmgard, einer Düsseldorferin, hatte er schon 1962 geschlossen. Schließlich wurde Günter Niggl im Oktober 1977 erster Inhaber des Lehrstuhls für NDL an der damaligen Kirchlichen Gesamthochschule Eichstätt. Hier sollte er bis zu seiner Emeritierung im Oktober 2002 lehren und forschen. Zahlreiche Gastvorträge führten ihn aber auch ins Ausland, von England und Frankreich bis nach Norwegen, Ägypten, USA, Kanada und Japan. An der späteren KU und in der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät (SLF) hatte er auch Ämter als Senator und als Dekan seiner Fakultät inne.
Die schönsten Erinnerungen aus seiner Zeit in der Lehre? „Eigentlich war es in Eichstätt immer ganz spannend für mich, man muss nichts hervorheben.“ Aber: „Wenn ich über Goethe oder Gottfried Keller dozierte, hatte ich die aufmerksamsten Zuhörer!“ Gerne erinnert er sich an ein Proseminar über Georg Büchner, in das 150 Teilnehmer strömten – allerdings noch in seiner Münchner Zeit, wo er für dieses Seminar „die kleine Aula zugewiesen bekam“. Dass er sich einst als Student und Cusanus-Stipendiat auf das Examen vorbereitete, indem er sich „zur Erholung ein paar Sketche von Karl Valentin auswendig aneignete“, kam ihm noch als Eichstätter Professor zugute, wenn ihn seine Studenten bei Exkursionen der Germanisten aufforderten, etwa Valentins „Feuerwerk“ zu rezitieren, was er dann mit vollem Körpereinsatz tat.
Gerne und mit Erfolg persiflierte er schon in München seine eigenen Professoren, etwa Doktorvater Hermann Kunisch – „aber immer freundlich, nie misswollend!“ Dabei glänzt Niggl mit exakt datierten Erinnerungen, um sein Gedächtnis muss man ihn beneiden.
Zu den Höhepunkten der Zeit an der KU gehörte 1993 sicher die Ehrenpromotion von Peter Handke, dem späteren Nobelpreisträger. Die Personalie war Niggls Idee, „und Präsident Lobkowicz unterstützte mich dabei in jeder Hinsicht“. Um die Professoren-Kollegen der SLF zu überzeugen, „suchte ich jeden von ihnen, es waren 22, einzeln in ihrem Büro auf, nie als Gruppe“, sodass der Fachbereichsrat sich einstimmig für Handke aussprach. Nun ist er gespannt, ob sich Handkes Eichstätter Auftritt einmal in dessen Tagebüchern niederschlägt.
„Spannend“ wurde es immer, wenn Kollegen berufen werden sollten, die nicht katholisch waren, hier gab es lebhafte Diskussionen an der KU. Den Aufbau seiner Fakultät in drei Phasen hat er in dem Sammelband „Veritati et Vitae“ skizziert. Ein halbes Dutzend junge Doktorandinnen und Doktoranden promovierten bei ihm an seinem Lehrstuhl.
Zum 90. Geburtstag darf man ihm nicht nur gute Gesundheit wünschen, sondern auch gute Ideen und Einsichten bei seinen derzeitigen Studien über Herder, Klopstock, Wieland, Schiller und natürlich Goethe in ihrer „Auseinandersetzung mit der Antike“.
EK
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