Das depperte Sepperla
1830 vom Eichstätter Domturm gefallen - und nichts ist passiert

03.08.2022 | Stand 22.09.2023, 20:23 Uhr
Rudolf Hager

Der aktuell von einem mächtigen Gerüst umgebene Nordturm des Domes (links). Oben das Votivbild von Josef Schmid nach seinem Sturz vom Dach. Fotos: Hager

Zu den wichtigsten und mächtigsten Wahrzeichen der Stadt Eichstätt gehört neben der Burg natürlich der Dom mit seinen zwei in den Himmel aufragenden Türmen. Warum sie nicht gleich hoch sind, darüber erzählt der Volksmund folgende Geschichte.



Als es darum ging, die Spitzen auf den Türmen zu bezahlen, einigte man sich, dass die Kosten für einen Turm der Bischof, für den anderen das Domkapitel übernimmt. So finanzierte der Bischof also das Dach des ersten Turmes, der eine Höhe von 52 Metern erreichte. Weil das Domkapitel aber gerne mit dem Bischof rivalisierte, ließen die hohen Herren den anderen Turm um zwei Meter höher errichten. Und so ragen sie noch heute mit ihrer ungleichen Höhe weit in den Himmel. Da der Dom derzeit einer Gesamtrenovierung unterzogen wird, sind alle zwei Türme mit einer riesigen Gerüstwand umgeben worden.

Mit Staunen beobachtet so mancher Betrachter die Arbeiter, wenn sie in luftiger Höhe dort in dem Stahlgerüst herumsteigen. Für ängstliche Menschen erregt diese Höhe schon ein Gefühl des Unwohlseins – wehe, wenn da zum Beispiel einer herunterfallen würde. Aber genau das ist im August des Jahres 1830 passiert, nicht vom Gerüst, sondern vom Turm selber!

Erzählt wird, dass damals ein gewisser Josef Schmid, der aus einfachen Verhältnissen stammte, im Dom Ministrant war. Er soll übrigens nicht besonders klug, dafür aber stark gewesen sein. Im August 1830 musste der kräftige junge Mann auf den Nordturm steigen, um die große und schwere „Hallerin“ zu läuten. Damals wurden die Glocken noch mit der Hand geläutet, was bei deren Gewicht doch ganz schön anstrengend war. Die Ministranten hatten ihren Spaß, wenn sie sich, um Schwung zu holen, an den Glockenseilen hinaufziehen ließen, um dann wieder sanft am Boden zu landen. Und so zog auch Josef – im Dialekt sagt man Sepperla – mit aller Kraft an dem Seil. Vor Freude am Läuten ließ er sich auch in der luftigen Höhe des Turmes – wie gewohnt – mit dem Seil immer wieder hochziehen. Als er jedoch einen Moment unaufmerksam war, da flog er im Bogen durch die Schallöffnung aus dem Turm, landete am Dach und rutschte Stück für Stück hinunter in den Hof, ohne jedoch größeren Schaden zu erleiden.

„Die Dummen haben eben Glück“

„Die Dummen haben eben Glück“, sagten die einen, seine Mutter aber rechnete diesen Glücksfall der Hilfe der heiligen Walburga zu und ließ für ihren Sohn eine Votivtafel mit der Darstellung der wunderbaren Rettung des jungen Eichstätters anfertigen, die sie in der Gruft hinter dem Hochalter der Klosterkirche aufhängte. Das Bild, das den Sturz eines jungen Mannes vom Turm des Eichstätter Domes zeigt, über dem in einer grauen, unheilschwangeren Wolke die heilige Walburga mit dem rettenden Ölfläschchen in der Hand schwebt, war sicher von keinem berühmten Künstler gemalt worden. Es weist darauf hin, dass der oder die Stifter nicht zu den begüterten Bewohnern der Stadt gehörten. Ob Josef Schmid, der später unter der Bezeichnung „depperter Sepperla“ in die Geschichte eingegangen ist, den Namen nur wegen dieses „Un-Glücksfalles“ bekam oder weil er auch sonst nicht gerade der Gescheiteste war, wie der Volksmund zu wissen glaubt, ist nicht überliefert.

Der Vollständigkeit halber sei noch bemerkt, dass später auch einer vom Dach des Domes heruntergefallen ist – ebenfalls ohne Verletzungen davonzutragen: Der Eichstätter Anzeiger berichtet am 3. März 1942 darüber. Der Maurer Anton Wörle aus Pietenfeld war es, der glücklich in einem Schneehaufen landete, so dass auch ihm nichts passiert ist.