Eichstätt
Die Kunst, Schweres leicht zu machen

Abschlusslesung des Festivals LiteraPur22 mit dem Schriftsteller Anselm Neft

11.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:23 Uhr

Lesung aus dem Buch „Späte Kinder“: Autor Anselm Neft (links) im Gespräch mit Moderator und Festival-Leiter von LiteraPur22, Michael Kleinherne. Foto: Buckl

Von Walter Buckl

Eichstätt – Seine Mutter sei hin- und hergerissen: Einerseits ist sie stolz auf den Sohn, der Karriere als Schriftsteller macht, andererseits plagt sie die Furcht davor, dass er in seinen Büchern zu viel aus der Familiengeschichte ausplaudert. Der Autor Anselm Neft lächelte, als er dieses Bekenntnis ablegte. Er betrat als fünfter Gast die Schlusslesung des Festivals „LiteraPur22“ und präsentierte im Foyer des Uni-Gebäudes am Marktplatz Passagen aus seinem Roman „Späte Kinder“.

Zu Beginn hatte ihn Festival-Leiter Michael Kleinherne als einen Schriftsteller mit bewegter Vergangenheit vorgestellt. Der 1973 in Bonn geborene und heute in Hamburg lebende Autor und Publizist studierte Vergleichende Religionswissenschaft, Vor- und Frühgeschichte, Volkskunde und Philosophie und war schon als Lehrer und Unternehmensberater tätig. Mit einer Mittelalterband war er als Rocker auf Tour. „Aber erwarten Sie nach dieser Anmoderation als bunter Hund nicht, dass ich Humorvolles zu Gehör bringe – meine Romane beinhalten eher düstere Themen. Doch ich versuche, Schweres leicht zu machen“, korrigierte Neft die entstandenen Erwartungen des Publikums.

Auch sein Roman „Späte Kinder“, aus dem Neft drei Kapitel vortrug, hat eine schmerzhafte Familiengeschichte zum Plot: Darin geht es um die Zwillingsgeschwister Sophia und Thomas, die in Hamburg und Berlin leben, aber nach dem Tod der Mutter nach Bonn reisen, um das nun unbewohnte „Elternhaus voller Gerümpel und Erinnerungen“ zu leeren. Beide stecken voller Probleme und leiden an fortwährenden familiären Traumata. In seiner Lesung rückt Neft allein Sophia ins Zentrum – was eine Zuhörerin in der Diskussion prompt moniert: „Ich bin selber Zwilling und hatte gehofft, bei dieser Lesung mehr über die Beziehungen zwischen Zwillingen zu erfahren.“ Worauf der Autor selbstironisch antwortete: „Ja, sorry, mein Fehler.“

Sophia wird von der Diagnose belastet, unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt zu sein und bestenfalls noch neun Monate zu leben. Sie macht sich Sorgen um die Zukunft ihrer kleinen Tochter Julika, deren Abitur sie nicht mehr erleben wird. Ihrem Mann Marcel, einem erfolgreichen Galeristen, hat sie ihren Befund im Eingangskapitel noch verschwiegen. Stattdessen gibt sie sich, ohne eigentlich dazu gestimmt zu sein, seinem Begehren hin, wovon die erste Lese-Partie handelt.

Die Tatsache, dass währenddessen nebenan vor dem „Paradeis“ Saxophon-Livemusik erklang, integrierte Neft in seinen Vortrag: „Stellen sie sich zu dieser Bettszene vor, dass währenddessen das Radio läuft.“ Lacher gab es in der zweiten Lese-Passage dann doch, denn hier bietet der Autor sardonischen Sarkasmus pur – nachvollziehbar, dass er Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek als Vorbilder nennt. Es geht um eine Vernissage mit Werken des berühmten Düsseldorfer Foto-Künstlers Konrad Krampitz, hinter dem ein Zuhörer prompt den realen Fotografen Andreas Gursky erkennt: Sophias Smalltalk mit dem Star gerät zu einem irre komischen Dialog voller Wortwitz (etwa über gockelhafte Vernissage-Besucher „mit maßgeschneiderten Anzügen und kultivierten Anzüglichkeiten“), der im Eklat kulminiert, wenn Sophia dem Star ins Gesicht sagt, sie sei „genauso ein opportunistisches Arschloch, nur nicht ganz so aufgeblasen“.

Bemerkenswert, wie es Neft gelingt, in einem sich oft zum Stakkato steigernden frappierenden Tempo zu lesen und dabei dennoch klar verständlich zu bleiben. Trotz der düsteren Hintergründe – später geht es um die Nazi-Verstricktheit des toten Vaters der Zwillinge – bot die Lesung Unterhaltung pur. Neft wird in der Tat seinem Anspruch gerecht, „Schweres leicht zu machen“.

EK