Es war eine Arbeit, bei der nicht nur Schweiß, sondern auch viele Tränen geflossen sind: Der Verein Nähen für Frühchen und Sternenkinder Beilngries hat eine Broschüre veröffentlicht, in der Eltern von „Sternenkindern“, also Kindern, die den Weg ins Leben nicht geschafft haben, ihre Geschichte erzählen.
Lesen Sie auch: Angebote für trauernde Eltern eines Sternenkindes
Federführend haben sich Sophie Ketzler, Birgit Sorgenfrei und Cornelia Maier um die Erstellung der Broschüre gekümmert. Vor Kurzem stellten sie das fertige Werk vor.
Die Broschüre soll Betroffenen Trost spenden
„Es soll eine Broschüre sein, die neu betroffene Eltern erhalten, teils von Kliniken, von Hebammen, Bestattern oder Selbsthilfegruppen. Es soll Trost spenden im Sinne von ,ich bin nicht alleine mit diesem Schicksal’ und auch zeigen, welche Möglichkeiten der Trauer und zur Bewältigung dieses Schicksalsschlages es gibt“, fasste Sophie Ketzler die Gedanken zusammen, die ganz am Anfang für die Vereinsmitglieder standen.
Die Umsetzung folgte Schritt für Schritt, über zwei Jahre lang: Zuerst schrieben betroffene Eltern ihre ganz persönliche Geschichte auf – von nüchternen Tatsachen über alle Sorgen, Ängste, die Trauer und auch Wut. „Wir haben die Geschichten gelesen, zusammengefasst, redigiert, es hat uns alle sehr berührt, jede einzelne Erzählung, und wir sind allen betroffenen Sternenkindereltern überaus dankbar, dass sie uns und alle Leser daran teilhaben lassen. Wir haben oft mitgeweint beim Lesen“, sagte Ketzler.
Das könnte Sie auch interessieren: Aichacherin Monique Berchtenbreiter begleitet Sternenkind-Familien in ihrer Trauer
Einblicke in unfassbar tragische Momente
Jede Geschichte steht unter einem Titel, im Vorspann ist die Schwangerschaftswoche (SSW) vermerkt, in der das Baby gestorben ist, daneben in Stichpunkten die nüchterne Zusammenfassung der Fakten. „Die Geschichte unseres Engelchens“ beispielsweise, zusammengefasst als „Pränataldiagnostik, 22. SSW, kein Herzschlag, Einleitung, Geburt nach sechs Tagen, Ausschabung, Beisetzung im Sternenkindergrab“.
Welche unendlich schweren Stunden und welche Verzweiflung sich hinter diesen nüchternen Fakten verbergen, wird im Erzähltext klarer: Dann entstehen Bilder von realen Menschen, von glücklichen, werdenden Eltern, die sich unendlich auf ihr Baby freuen und die verzweifelt schreiben: „Für uns brach innerhalb von Sekunden eine Welt zusammen, als die Ärztin uns mitteilte: Es ist kein Herzton und keine Kindsbewegung da.“ Fragen quälen die Mutter: „Ich habe es nicht verstanden. Warum? Warum ich? Was habe ich falsch gemacht? Warum passiert mir so etwas?“
„Was habe ich falsch gemacht?“ „Nichts!“
Warum? Was habe ich falsch gemacht? Auch wegen solcher Fragen – und der Antwort darauf, nämlich „Nichts“ – haben Ketzler, Sorgenfrei und Maier die schwierige Arbeit, solch eine Broschüre zu erstellen, auf sich genommen. Es sollte eine Broschüre zur Trauerbewältigung sein, die auch viele wichtige Informationen enthält, erklärte Sorgenfrei.
Besonders eindrücklich wird die Geschichte von Isabella erzählt, die in der 25. SSW zum Sternenkind wird. Erzählt wird hier nicht aus Sicht der Mama oder des Papas, sondern in Ich-Form von Isabella selbst, einem Mädchen mit auffälligem Organscreening, bei dem schließlich ein schlimmer Gendefekt festgestellt wird. Das Kind – und der Leser – erleben die Zeit der vielen Untersuchungen mit, die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, die Überlegungen bis hin zu dem Satz: „Heute war der Tag, an dem meine Mama mich zum letzten Mal im Bauch spürte. Der Tag, an dem ich gehe. Mein Herz blieb stehen.“
Die Geschichten sind nach dem Abbruch der Schwangerschaft angeordnet, von der Ausschabung in der achten Schwangerschaftswoche bis zu „kein Herzschlag beim Ultraschall am Geburtstermin“, ganz am Ende der Schwangerschaft also. Im Anhang gibt es Wissenswertes über Sternenkinder, Regenbogenkinder (das erste lebende Kind nach einem Sternenkind), die kleine und stille Geburt, über Sternenkindfotografie oder Bestattungsmöglichkeiten. Sorgenfrei bedankte sich bei den vielen Mitwirkenden, allen voran den Sternenkindereltern, aber auch bei Marco Schneider, der wichtige redaktionelle Tipps geben konnte, bei Sabrina Gaßer für die Unterstützung beim Korrekturlesen und bei Vera Barth, die für die Grafik zuständig war, die das Cover gestaltet hat und sich bei Layout, Schrift, Farbgestaltung und Druck ehrenamtlich überaus zeitintensiv mit einbrachte.
Broschüre zum Thema „Frühchen“ folgt
Und es soll weitergehen: Bereits jetzt wird an einem Heft gearbeitet, das Erfahrungsberichte von Eltern Frühgeborener zusammenfasst. „Unsere Sternenkinderbroschüre haben wir lilafarben gestaltet, die Farbe der Trauer. Das Frühchenheft wird ähnlich aufgebaut und bekommt die Farbe Grün. Die Geschichten darin sind auch sehr emotional, aber natürlich mit vielen glücklichen Erinnerungen“, sagte Sorgenfrei. Erscheinen soll das zweite Heft Mitte 2025.
Die Sternenkindereltern werden vom Verein nicht nur mit der Broschüre unterstützt. Es gibt auch kleine Utensilien, die den Abschied und die Erinnerung, nein, sicherlich nicht leichter machen können, aber doch begleiten sollen: Eine Wolldecke etwa, in der das Sternenkind begraben werden kann, kleine Anhänger – für das Sternenkind und identisch für die Eltern oder für Geschwisterkinder zur Erinnerung, ein „Schiffchen“ aus Stoff, in das die Allerkleinsten gelegt werden können, oder Mützen, Söckchen, eine schön verzierte Kerze und vieles mehr. Eine betroffene Mutter, die zur Vorstellung der Broschüre gekommen war, erzählte von vielen kleinen Schmetterlingen, gehäkelt von Vereinsmitgliedern, die sie bei der Beerdigung an Freunde und Verwandte verteilt hätte: „Immer, wenn ich jetzt solch einen Schmetterling sehe, beispielsweise an die Fotowand bei Oma und Opa gepinnt, dann weiß ich, dass unser Kleines nicht vergessen ist, es gehört dazu und bleibt bei uns.“
arg
Artikel kommentieren