Auf dem Dachboden des alten Schulhauses
Einzigartige Dokumente: Ebenrieder Schätze entdeckt

04.11.2024 | Stand 04.11.2024, 15:00 Uhr |

Die Postkarte aus den 1930iger Jahren zeigt die alte Schule vor ihrem Anbau nach Westen im Jahr 1936. Im Dachgeschoss der Schule gefunden wurden auch Steuerkarten aus dem Jahr 1938 (Bild unten rechts). Das Türschild eines Klassenzimmers, in dem Josef Lihl noch bis zum Schuljahr 1973/74 die dritte Klasse unterrichtete, hängt bis heute vor dem Schulsaal. Fotos:

Seit 1818 bildete Ebenried zusammen mit dem Weiler Stuben eine Gemeinde. Bei der Eingemeindung 1977 wurde auch das vorhandene Gemeindearchiv nach Pöttmes verbracht. Es bildet im Marktarchiv einen eigenen Bestand.

Nun erfuhr der für den nordwestlichen Landkreis Aichach-Friedberg zuständige Kreisarchivpfleger Franz Riß, dass sich im alten Schulhaus noch Schriftgut der Gemeindeverwaltung und der ehemaligen Volksschule befindet. Der Schulsaal im Obergeschoss wurde bis etwa 1990 als Wahllokal benutzt und gegenüber von diesem war bis 1976 die Gemeindekanzlei eingerichtet. Im Erdgeschoss befand sich die Lehrerwohnung des ehemaligen Schulleiters Josef Lihl, der 2018 hochbetagt im Alter von 97 Jahren verstorben ist. Seit dem Umzug seiner Witwe in das Pflegeheim Pöttmes drei Jahre später stand das Gebäude leer.

Die beiden Ebenrieder Bürgerinnen Genoveva Bayerl und Eva Ziegler, die sich für den Erhalt des Schulgebäudes einsetzen, befürchteten ab diesem Zeitpunkt, dass das Grundstück verkauft und in dessen Folge der Schule der Abriss bevorstehen könnte. Bayerl und Ziegler wurden dort noch eingeschult und sie wussten davon, dass auf dem Dachboden Unterlagen der Gemeinde und der Schule lagerten. Auf dieses Schriftgut hätte bei einem Verkauf vermutlich der Papiercontainer gewartet.

Die Gemeindekanzlei im Schulhaus

Bei einer ersten Sichtung durch den Archivpfleger stellte sich heraus, dass sich auf dem Dachboden, der vor allem als Lagerraum für das Lehrmaterial und Inventar der Schule benutzt worden war, unter einer Vielzahl von Akten, Ordnern und Druckwerken auch erhaltungswürdiges Archivgut befand. Das in Frage kommenden Schriftgut vom Dachraum wurde im darunter liegenden Schulsaal gesichert, dort aussortiert und in den vorhanden Bestand des Gemeindearchivs eingegliedert.

Nachdem aber diese Arbeiten wohl auf absehbare Zeit nicht vorgenommen worden wären, ergriff die an der Kulturgeschichte ihres Heimatortes interessierte Vevi Bayerl die Initiative. Für die Säuberungs- und Sortierarbeiten konnte sie Heinrich Mayr aus Pöttmes und Archivpfleger Riß gewinnen, zu dessen Aufgabengebiet eigentlich keine Archivordnungsarbeiten gehören. Am Ende konnten die drei ehrenamtlich Tätigen acht Umzugskartons auf den Weg nach Pöttmes bringen. Dadurch verdoppelte sich der bisherige Archivbestand, und der zweitkleinste Ortsteil kann jetzt die umfangreichste Überlieferung aller zwölf Altgemeinden vorweisen.

Dazu kam noch ein Archivkarton mit rein schulischen Unterlagen wie Schülerbögen und Schülerlisten aus den Jahren von 1933 bis 1947, der in die Grundschule nach Willprechtszell gebracht wurden. Dort lagern nach Gründung des Schulverbandes Willprechtszell auch die Schularchive der 1969 aufgelösten Volksschulen von Ebenried und Osterhausen.

Bereits im Gemeindeedikt von 1818, das die Geburtsurkunde der bayerischen Gemeinde ist, wurde festgelegt, welche Aufzeichnungen der Bürgermeister zu führen und aufzubewahren hatte. Bei kleineren Landgemeinden haben sich in der Regel nur sehr wenige Schriftstücke erhalten, da die Dorfbürgermeister ihre Amtsgeschäfte zu Hause erledigten und ihre Unterlagen auch dort aufbewahrten – meist in privaten Schränken. Oder die Unterlagen befanden sich in allerunamtlichsten Zustand, wie etwa in einem Waschkorb oder unterm Himmelbett des Vorstehers, wie Josef Lentner in seinen Erhebungen für eine „Landes- und Volkskunde des Königsreichs Bayern“ anno 1850 bemerkte.

Ein Enkel des ersten Ebenrieder Nachkriegsbürgermeisters Sebastian Schäfer (Amtszeit 1945-1948) erzählte Vevi Bayerl, dass sein Großvater seine Amtsgeschäfte immer daheim erledigte und sogar die Gemeinderatssitzungen in seiner Wohnstube abgehalten wurden. Das einzige Telefon des Ortes war im Haus des Bürgermeisters angeschlossen. Doch schon unter seinem Nachfolger Josef Ruisinger, der mit seiner Amtszeit von 1948 bis zur Auflösung der Gemeinde zum 31. Dezember 1976 wohl der am längsten dienende Bürgermeister der Gemeinde war, wurde eine Gemeindekanzlei im Schulhaus eingerichtet.

Vollständige Unterlagen aus der NS-Zeit

Mit großer Wahrscheinlichkeit steht dies im Zusammenhang mit der Übernahme der Schulleitung der einklassigen Volksschule durch Josef Lihl im Jahr 1955. Ab diesem Zeitpunkt übte dieser auch die Nebentätigkeit als Gemeindeschreiber aus und wird wohl wegen dieser Tätigkeit das gegenüber dem Schulsaal im Obergeschoss befindliche Lehrerzimmer als Gemeindekanzlei zur Verfügung gestellt haben. Bei der Einrichtung des Amtszimmers wurden dort nur die damals aktuellen Gemeindeakten untergestellt. Der große Rest an Altakten wurde unter das Dach verbracht.
Bei den jetzt aktuellen Archivarbeiten im Schulsaal, die vor allem aus der Säuberung der stark verschmutzten Papiere, die Entfernung der verrosteten Heft- und Büroklammern und die Sortierung und Erfassung nach dem Einheitsaktenplan der Verwaltung umfassten, stellte sich immer mehr heraus, welche Schätze im Dachraum unbemerkt lagerten. So konnte eine Serie von Rechnungsbüchern erfasst werden, die im Jahr 1919 beginnen und lückenlos an die ab 1954 vorhandenen anschließen. Auch das Beschlussbuch von 1897 bis 1908 schließt jetzt eine Lücke. Diese Bücher liegen nun vollständig bis einschließlich 1976 vor. Das älteste vorgefundene Schriftstück wurde 1857 ausgestellt und nennt die Entlohnung des Ebenrieder Lehrers für seine Organisten- und Mesnerdienste in der Pfarrgemeinde.

Der Archivschatz im Dachboden

Die vorgefundenen Familienstandsbögen, die in den Jahren von 1876 bis 1923 angelegt wurden, lassen vor allem die Herzen der Familienforscher höher schlagen, denn darin sind nicht nur alle Familienmitglieder verzeichnet, sondern auch die Dienstboten, die damals quasi zur Familie zählten.

Ein besonderer Glücksfall ist jedoch die Überlieferung aus der NS-Zeit, also den Jahren von 1933 bis 1945. Während hier bei fast allen Gemeindearchiven große Lücken klaffen oder oft sogar keinerlei Unterlagen mehr vorhanden sind, haben sich für Ebenried nahezu alle Akten und Schriftstücke erhalten. Es gab nämlich schriftliche Anordnungen von NS-Kreisleitungen, sämtliche Akten aus dieser Zeit zu vernichten. Eine solcher Befehl hat sich beispielsweise im Gemeindearchiv Mering erhalten.

Seit der letzten Bürgerversammlung im Mai diesen Jahres können nun Vevi Bayerl und Eva Ziegler aufatmen: Der Bürgermeister verkündete dort, dass das Schulhaus nicht verkauft wird.

AZ

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