JVA in Aichach nicht im Fokus
Aichacher Gefängnis hat eine weiße Weste – Leiterin wird für Taskforce abgezogen

09.11.2024 | Stand 09.11.2024, 15:57 Uhr |

In der Aichacher Justizvollzugsanstalt sind rund 270 Gefangene untergebracht. Es ist das größte Frauengefängnis in Bayern, das auch einige Männer aufnimmt. Im Zuge der haarsträubenden Foltervorwürfe aus der Gablinger JVA ist Aichach keineswegs in den Fokus geraten. Vielmehr soll Aichacher Personal bei der Aufklärung und lückenlosen Aufarbeitung mitanpacken. Foto: Archiv

Insider, Politiker, Anstaltsbeiräte und Ministerium sehen in der Aichacher JVA keine Anhaltspunkte für Vorfälle wie sie im Gablinger Gefängnis derzeit im Raum stehen. Dort sollen Häftlinge in besonders gesicherten Hafträumen gefoltert worden sein.

  

Eine ehemalige Ärztin der JVA Gablingen hatte dem Ministerium bereits vor einem Jahr schwere Missstände in der 2015 eröffneten Einrichtung geschildert. In den so genannten „besonders gesicherten Hafträumen“ (BGH) sollen Gefangene menschenunwürdig behandelt und teils über Wochen hinweg eingesperrt worden sein. Passiert ist daraufhin offenbar wenig. Der Minister räumte in einer Pressemitteilung ein, dass seine Behörde „die Dimension der Vorwürfe wohl unterschätzt“ habe.

Die Anschuldigungen richten sich gegen die ehemalige stellvertretende Leiterin und 15 weitere Mitarbeiter. Im Raum steht einer der größten deutschen Justizskandale. Dennoch gilt bis zur Aufklärung die Unschuldsvermutung, was die Augsburger Staatsanwaltschaft, die von Medienanfragen überschüttet wird, betont.

Eine lückenlose Aufklärung fordert auch der Aichacher Dr. Friedrich Pürner, der für das BSW im Europaparlament sitzt. Er hat diese Woche aus Brüssel einen Fragenkatalog an den Justizminister nach München geschickt. Dabei bittet er als bayerischer Abgeordneter um zeitnahe Beantwortung von 14 Fragen. Als ehemaliger Anstaltsarzt der Aichacher JVA weiß er, in welche Wunde er den Finger legen muss.

Pürner schickt Fragenkatalog an Justizminister

Gegenüber unserer Redaktion erklärt er, dass Gefangene, die in diesen Hafträumen in Aichach untergebracht waren, besonders engmaschig betreut wurden. „Mindestens einmal am Tag sind diese Häftlinge untersucht worden“, erinnert sich der 57-Jährige.

Vor über zehn Jahren war Pürner für knapp sechs Jahre als Mediziner für das Wohl der Aichacher Häftlinge zuständig, ehe er an das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit nach Unterschleißheim gewechselt ist und später Gesundheitsamtsleiter in Aichach wurde.

Die besonders gesicherten Hafträumen in Aichach waren zu seiner Zeit relativ selten belegt. Vor allem Suizidgefährdete oder diejenigen, die eine Gefahr für andere darstellten, seien dort eingesperrt gewesen.

Auch ein ehemaliger Justizvollzugsbeamter aus Aichach, dessen Name anonym bleiben soll, bestätigt, diese Räume seien sehr selten belegt gewesen. „Wenn jemand um sich geschlagen hat, ist er mal für kurze Zeit dort eingesperrt worden.“

Drei dieser kameraüberwachten Zellen gibt es in Aichach, zwei für weibliche Gefangene, eine für Männer. Allesamt mit Fenster, also Tageslicht, und freiem Blick auf Uhren ausgestattet. Das weiß Peter Tomaschko, seit 2018 Vorsitzender des Anstaltsbeirats des Aichacher Gefängnisses. Außerdem stünden den Gefangenen dort Kleidung, Matratzen und Decken aus reißfestem Material zur Verfügung. Das soll in Gablingen teilweise nicht der Fall gewesen sein. Dort sollen Häftlinge nackt auf dem Boden gelegen haben, in Räumen ohne Fenster.

Das zumindest schilderten mehrere Zeugen laut Medienberichten. Auch Tomaschkos Kollegin, Marina Jakob, stellvertretende Anstaltsbeirätin, ist von den sehr guten Bedingungen in Aichach überzeugt. Als sie von den Vorkommnissen in Gablingen gehört habe, hätte sie sich gefragt, ob solche Verfehlungen in Aichach theoretisch möglich seien, ohne dass sie es mitbekommen würde. Jakob ist zu dem erfreulichen Schluss gekommen: „Nein, wir wüssten es.“

Aichacher und Gablinger Anstaltsbeiräte im Austausch

Marina Jakob, die für die Freien Wähler im Landtag ist, hat sich diesbezüglich auch mit dem Anstaltsbeirat aus Gablingen unterhalten. „Das ist eine ganz andere Zusammenarbeit, als wir sie in Aichach haben.“ Der Austausch mit der Leitung sei hier sehr vorbildlich und konstruktiv.

Offenbar hat sich das gute Klima unter den Bediensteten in Aichach und in der Führungsriege herumgesprochen. Denn das Ministerium hat von heute auf morgen die stellvertretende Leiterin Elisabeth Klenk ans Ministerium abgeordnet. Sie ist nun Teil der frisch eingerichteten Taskforce, die die interne Aufarbeitung im Ministerium und in der JVA Gablingen voranbringen soll.

Die bisherige Abteilungsleiterin der Aichacher Justizvollzugsanstalt, Julia Hattler, ist ebenso kurzfristig abgezogen worden. Sie hat die stellvertretende Leitung der Gablinger JVA kommissarisch übernommen. Eine Bedienstete der JVA München ist seit 5. November stellvertretende Leiterin des Aichacher Gefängnisses, ebenfalls zunächst vorübergehend. Das teilte eine Sprecherin des Justizministeriums auf unsere Anfrage mit.

„Für Gablingen freut mich dieser personelle Wechsel“, sagte Marina Jakob gegenüber unserer Zeitung. Sie ist überzeugt davon, dass solche Verfehlungen sehr stark mit der Leitung und den Führungspersonen einer Einrichtung zusammenhängen.

Nach bisherigen Recherchen sind also keinerlei Fälle aus dem Aichacher Gefängnis bekannt, in denen Inhaftierte menschenunwürdig behandelt worden sein könnten. Das bestätigt auch das Justizministerium.

AZ

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