Mama ist sein lautester Fan
Yale-Absolvent, Olympionike, DEL-Star: Kenny Agostino soll Schlüsselrolle beim ERC Ingolstadt einnehmen

05.08.2024 | Stand 05.08.2024, 10:12 Uhr |

Seine Lieblingsfarbe ist Blau – damit passt Kenny Agostino schon mal bestens zum ERC Ingolstadt. Am Samstag absolvierte der Neuzugang unter den Augen von Athletikcoach Max Schmierl die Fitnesstests. Mit Panther-Routinier und BVB-Fan Daniel Pietta müsste Agostino im Übrigen bestens klarkommen: „Mein einziges Fußballspiel habe ich bislang in Dortmund gesehen, die gelbe Wand war beeindruckend“, erzählt der 32-Jährige, der sich allerdings auch einen Besuch beim FC Bayern vorgenommen hat. Foto: Traub

Wenn demnächst bei einem Heimspiel des ERC Ingolstadt eine 1,60 Meter große Frau ohrenbetäubend laut durch die Saturn-Arena pfeifen sollte, handelt es sich wahrscheinlich um Kenny Agostinos Mutter.



„Sie pfeift wie ein Lkw-Fahrer, es zerreißt mir das Trommelfell“, wurde einst Anne Agostinos Ehemann Ken auf der Website der Chicago Wolves zitiert. Sohn Kenny, der in der kommenden Saison für die Panther in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) stürmt, sagte über seine „klassische italienische Mama“: „Man kann sie in einer Halle mit 14000 Plätzen heraushören.“

In der Saturn-Arena, die 4815 Eishockey-Fans Platz bietet, hat Anne Agostino also leichtes Spiel. Laut wird es voraussichtlich im Dezember, denn wegen der deutschen Christkindlmärkte planen die Eltern ihren jährlichen Trip zum Arbeitsort des Juniors in der Weihnachtszeit. Laut könnte es in der Arena allerdings schon vorher werden – denn wenn Agostino so weitermacht wie bisher in seiner Karriere, werden die Panther-Fans häufig Gelegenheit zum Jubeln haben.

Zwei Einladungen ins Weiße Haus

Der 32-Jährige aus New Jersey, der in Florida lebt, gehört sportlich zu den Stars der DEL – und kann eine durchaus schillernde Vita vorweisen. In Yale erwarb der US-Amerikaner einen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaften – wie Meisterpanther Jean-Francois Boucher. „Ich bin politisch nicht übermäßig interessiert, aber es war das machbarste Fach. Und die Zahl der Kurse war nicht so hoch wie in anderen Fächern“, gibt Agostino zu. Auf dem Campus der Elite-Universität sei es „multikulturell und vielschichtig“ zugegangen.

Mit Yales Eishockey-Team gewann der Flügelstürmer die Hochschulmeisterschaft und bekam eine Einladung von Präsident Barack Obama. 2022 folgte der zweite Besuch im Weißen Haus – diesmal ging es als Olympia-Teilnehmer von Peking zu Joe Biden. „Olympia war eine der besten Erfahrungen meines Lebens“, schwärmt er. „Sein Land zu repräsentieren, macht einen unglaublich stolz, und dann noch auf dieser Bühne.“

Agostino: „Am meisten will ich gewinnen“

In der besten Eishockey-Liga der Welt sammelte Agostino in 86 Einsätzen für sechs verschiedene Teams immerhin 30 Zähler – doch meist ging es für ihn als Teil der vierten Reihe vor allem darum, defensiv nichts anbrennen zu lassen. „Um in der NHL zu spielen, übernimmt man jede Aufgabe. Aber als klar war, dass meine Zeit dort vorbei war, wollte ich so spielen, wie es mir am meisten Spaß macht“, sagt Agostino. Also offensiv, kreativ und im Powerplay: „Aber am meisten will ich gewinnen.“ Auch in den Gesprächen mit ERC-Sportdirektor Tim Regan habe er diesen Siegeswillen gespürt: „Das schien mir zu passen. Ingolstadt war sehr interessiert, ein starkes Team mit gutem Trainer.“

Ein Punkt pro Spiel für Düsseldorfer EG

Für die Düsseldorfer EG kam Agostino in der Vorsaison auf 48 Scorerpunkte in 48 DEL-Spielen – damit war er viertbester Stürmer der Liga. Das Engagement im Rheinland war allerdings nur eine Notlösung, denn eigentlich hatte er bei Skelleftea AIK unterschrieben. Doch die Schweden lösten den Vertrag unter großem öffentlichen Druck innerhalb von 48 Stunden wieder auf: Sie hatten erfahren, dass der Linksschütze zuvor vor allem aus finanziellen Gründen weiterhin in der KHL für Torpedo Nischni Nowgorod aufgelaufen war, obwohl er nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wohl aus seinem Vertrag hätte aussteigen können.

Agostino soll in einer Top-Reihe stürmen

„Alles was ich sagen kann ist, dass es für mich gut ausgegangen ist, weil ich so nach Deutschland gekommen bin“, sagt Agostino heute. „Hier ist das Leben angenehm, die Leute sind freundlich, die Städte schön. In den Hallen herrscht eine tolle Atmosphäre, und man hat viele Teamkollegen aus Nordamerika. Auch die Deutschen sprechen alle Englisch.“ ERC-Coach Mark French freut sich auf den Neuen: „Kenny hat überall bewiesen, dass er offensiv gefährlich ist. Wir hoffen, dass er das auch bei uns ist. Wir planen mit ihm in einer der ersten beiden Reihen.“

Und im Gegensatz zum vergangenen Jahr kann Agostino die komplette Vorbereitung mitmachen. Im Herbst 2022 hatte er sich in Russland am Ellenbogen verletzt. „Wegen des Krieges wurde mir eine Behandlung im Ausland untersagt. Die Operation – die erste meines Lebens – ging schief, ein Albtraum“, berichtet er. Erst nach einem halben Jahr mit maladem Arm konnte er sich daheim in den USA einer zweiten OP unterziehen. „Diesmal bin ich fit und von Anfang an dabei“, sagt Agostino, der mit seiner frisch angetrauten Frau Kerri und seinen Hunden nach Ingolstadt gekommen ist.

Markante Zahnlücke ist verschwunden

Und noch etwas ist anders als 2023: Agostinos markante Zahnlücke im Oberkiefer ist verschwunden. „Ich habe mir zum ersten Mal in zehn Jahren die Zähne machen lassen“, verrät er lachend. „Implantate waren leider nicht möglich, weil sich der Knochen zurückgebildet hat, also habe ich eine Brücke bekommen. Es fühlt sich gut an.“ Dem perfekten Siegerlächeln steht also nichts im Wege – und wenn die Mama pfeift, wird es sicher noch ein bisschen breiter.

Fitnesstests: „Wie schnell waren die anderen?“, erkundigte sich Kenny Agostino, bevor er zum Abschluss der Fitnesstests beim ERC Ingolstadt auf die 30-Meter-Sprintstrecke gebeten wurde. „,Wojo’ hat 4,0 Sekunden geschafft“, antwortete Physiotherapeut Maximilian Kocsis mit Blick auf die Zeit von Nationalstürmer Wojciech Stachowiak. Agostino kam im schnellsten seiner drei Versuche auf 4,4 Sekunden − „nicht der Schnellste, nicht der Langsamste“, sagte der Neuzugang zufrieden schnaufend.

Neben der Sprintstärke testete der medizinische Stab des ERC am Samstag in den gemeinsam genutzten Praxisräumen von Teamarzt Stephan Ehler und Physiotherapeut Matthias Klein nahe der Saturn-Arena noch Beweglichkeit, Sprung- und Maximalkraft der Profis. „Zum einen überprüfen wir den Zustand der Mannschaft, zum anderen ermitteln wir Vergleichswerte“, erklärte Klein. Außerdem seien die Daten hilfreich, um etwa nach einer Verletzung wieder die Ausgangswerte zu erreichen. Zusätzlich müssen die Panther noch die Spiroergometrie-Tests auf dem Rad zur Bestimmung der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit absolvieren. An diesem Montag beginnt dann offiziell die Vorbereitung auf dem Eis.

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