"Wir essen den Kitt von den Wänden"

07.02.2008 | Stand 03.12.2020, 6:09 Uhr
Da bemühten sich beide Seiten noch um Frieden: Geschäftsführerin Nicola Hackner mit dem technischen Leiter und Betriebsratschef Peter Königsberg Ende Oktober vorigen Jahres im Lagerkeller der Brauerei. Inzwischen wurde die Produktion eingestellt. −Foto: Silvester

Ingolstadt (DK) Die Situation bei Ingobräu droht zu eskalieren. Der Betriebsrat wandte sich gestern mit einem dramatischen Appell an die Öffentlichkeit, um über die "desolate Lage der Firma" zu informieren. Die fünf gekündigten und fünf verbliebenen Mitarbeiter sagen, seit drei Monaten kein Geld mehr gesehen zu haben.

Sie wollen nicht mehr, sprechen von "Untergang" und sehen keinen anderen Ausweg: Die Mitarbeiter von Ingobräu haben sich gestern mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt, in dem sie dramatisch auf die ihrer Ansicht nach desolate Lage der Brauerei aufmerksam machen – "als letzte Hoffnung", wie es in dem vom Betriebsrat formulierten Appell heißt. Fünf Kollegen sind noch übrig, weitere fünf sind gekündigt – und alle warten nach eigenen Angaben auf ihr Gehalt für die Monate November, Dezember und Januar. "Es geht an unsere Existenz", sagte ein Angestellter. "Wir tun das aus Verzweiflung, denn wir essen den Kitt von den Wänden."
 
Kein warmes Wasser mehr

Das Ende der 1507 gegründeten Firma scheint ganz nah zu sein. Im vorigen Mai waren die Zahlungsschwierigkeiten nicht mehr zu übersehen. Die Belegschaft drohte mit Arbeitsverweigerung, sollte sie ihr Gehalt nicht bekommen. Zum Jahreswechsel wurde die Produktion eingestellt. Die Tanks sind leer. Die Kühlanlage ist stillgelegt. Derzeit liefert die Rumpfbelegschaft die Restbestände – Helles in der Flasche, letzte Abfüllung am 13. Dezember – an die Kunden aus. "Viele sind es aber nicht mehr", heißt es. Bis März reiche der Vorrat, dann gibt es im Stammsitz an der Kolpingstraße kein Bier mehr.

Die Vorwürfe wiegen schwer: "Die Mitarbeiter arbeiten bei Ingobräu unter katastrophalen Bedingungen. Bei allen Sicherheitsstandards wurde immer nur das unbedingt Nötige erfüllt. Auch in anderen Dingen, die selbstverständlich sein sollten, mussten die Mitarbeiter mit dem Primitivsten zufrieden sein. Unter anderem keine Duschen, kein warmes Wasser zum Händewaschen." Immer und immer wieder sei alles angemahnt worden – vergebens.

Die Kollegen, heißt es in dem emotionalen Brief des Betriebsrats, hätten "trotz aller Übel" stets zu Ingobräu gehalten "und die bestmögliche Arbeit abgeliefert". Jetzt können sie es einfach nicht fassen, "dass dies der Dank der Geschäftsleitung sein soll". Der dramatische Appell endet mit den Worten: "Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass die Mitarbeiter schuld am Untergang von Ingobräu sind."

Warten auf die Insolvenz

Die fünf Angestellten, die noch übrig sind, bemühen sich "alles irgendwie zu einem würdigen Ende zu bringen – aber ohne Gehalt wird das immer schwerer". Die Idee, Geld zu sammeln, um einen Insolvenzantrag durchzusetzen, habe die Belegschaft wegen des hohen Risikos verworfen, hieß es. Die zuständige Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hätte es aus dem selben Grund abgelehnt, hier tätig zu werden.

Juristische Auseinandersetzungen werden wohl folgen, nicht nur wegen der ausstehenden Gehälter, auch Weihnachtsgeld haben die Mitarbeiter laut Betriebsrat im vorigen Jahr keins mehr erhalten. "Das steht uns tariflich zu!" Auf den Gehaltsabrechnungen sei es gar nicht mehr aufgeführt. Zu Diplomatie sehen sich die Kollegen nicht imstande. "Dieses Verhalten der Geschäftsleitung könnte man Betrug nennen."

Aber man redet offenbar eh nicht mehr miteinander. Zahlreiche Briefe, in denen der Betriebsrat die Auszahlung der Löhne gefordert habe, blieben unbeantwortet. Gesellschafter Theo Lang würde "Grüß Gott sagen, aber sonst nichts mehr".

Auch Langs Tochter Nicola Hackner schweigt. Die 34-jährige Geschäftsführerin war gestern zu keiner Stellungnahme bereit. Hackner hat bereits vor kurzem erklärt, dem DK grundsätzlich keine Gespräche über Ingobräu mehr zu gewähren.