Ingolstadt
Weihnachten weltweit

Außergewöhnlicher Auftritt des Vokalensembles amarcord beim Konzertverein

23.12.2022 | Stand 17.09.2023, 6:53 Uhr

Perfekt aufeinander abgestimmt: amarcord. Foto: Schaffer

Von Heike Haberl

Ingolstadt – Der Überraschungseffekt war vom ersten Ton an geglückt im Theaterfestsaal, als das Gesangsquintett amarcord in harmonischer Wärme Gustav Holsts romantisch-intimes „In the Bleak Mid-Winter“ anstimmte – nicht etwa auf der Bühne, sondern hinter den letzten Publikumsreihen. Erst zur feierlich freudigen, lateinisch-deutschen Weise „Puer natus in Bethlehem“ schritten Wolfram Lattke, Robert Pohlers, Frank Ozimek, Daniel Knauft und Holger Krause nach vorne, um das Konzertpodium zu betreten. Das herausragende Vokalensemble, das längst zur Weltspitze gehört und sich aus ehemaligen Mitgliedern des Leipziger Thomanerchors zusammensetzt, hatte Weih-nachtslieder aus den verschiedensten Jahrhunderten und Kulturen mitgebracht, die es auf seine ganz spezielle, unvergleichlich-charmante Art inszenierte. Äußerst individuell, aber immer auf höchstem künstlerischen Niveau, ganz nah am Textinhalt und der musikalischen Aussage.

Da beeindruckte die zeitlose Schönheit des Praetorius-Satzes „Es ist ein Ros entsprungen“ genauso wie das zärtlich schwingende schlesische Wiegenlied „Joseph, liber neve min“ im spannenden Vergleich mit dem zugrundeliegenden, ganz anders und jubilierend daherkommenden Lobgesang „Resonet in laudibus“ von Lasso. Und wie unterschiedlich das bekannte „Ich steh an deiner Krippen hier“ in Johann Eccards anrührend schlichter Renaissance-Bearbeitung gegenüber Bachs kunstvoll barocker Ausgestaltung klingen kann, vermag wohl kaum jemand so überzeugend herauszukristallisieren wie die fünf wundervollen, stets absolut präsenten Sänger, die sich in dieser Konstellation bereits seit zehn Jahren hörbar bestens kennen.

Wesentlich deftiger, uriger, derber und folkloristischer in der Tonfärbung ging es bei den spanischen Hirtengesängen, den Villancicos, und einer (nicht nur) rhythmisch bunt durchgemischten, lebensfreudigen Ensalada auf Katalanisch zu: Sie versprühten ein völlig kontrastierendes, temperamentvolles, südländisches, bisweilen aber auch erstaunlich lyrisches Kolorit.

Wieder zurück in gewohntere, klassischere Gefilde führte auf märchenhaft-beschwörende Weise ein mystisch-zartes Arrangement des Adventlieds „Maria durch ein Dornwald ging“ aus „hauseigener Feder“, nämlich vom jüngsten amacord-Mitglied, dem Tenor Robert Pohlers. Und auch die typisch-traditionelle Manier der Christmas Carols durfte natürlich nicht fehlen: In britischer, aber gleichzeitig variantenreich durchdrungener und am Ende augenzwinkernder Noblesse erklang „God Rest You Merry, Gentlemen“.

Der zweite Teil des grandiosen Abends widmete sich dann einem weihnachtsmusikalischen Streifzug der besonderen Art durch unterschiedliche Länder und Stilrichtungen. Und hier nutzte armacord (schalkhaft-beschwingt beginnend in Finnland) wirklich jede sich bietende Gelegenheit, um zur stimmlichen und darstellerischen Bestform aufzulaufen. Mit geradezu smoothem Jazz-Feeling performte das Ensemble „Hark! The Herald Angels Sing“, ließ beim Aufenthalt in Schweden „Jul, jul, strålande jul“ andächtig-atmosphärisch in den Saal leuchten. Aus Lettland stammte ein kraftvolles, ungemein hoffnungsfroh intoniertes Lied zur Wintersonnenwende, zu dem die nachdrücklichen Rufe von Falsett-Tenor Wolfram Lattke herrlich theatralisch hinter vorgehaltener Hand erschallten und die beiden Bässe Daniel Knauft und Holger Krause komödiantisch ihre eigenen Körper als Rhythmusinstrumente einsetzten. Im lässigen Swing-Style präsentiert, gekrönt durch witzige Pfeif- und Plopp-Einlagen, machte „Il est né, le divin enfant“ aus Frankreich sofort fröhlichste Laune. Exotisch-tropisches Flair verbreitete das Quintett hingegen mit dem lautmalerisch-fantasievoll in Szene gesetzten hawaiianischen Weihnachtsgruß „Mele kalikimaka” – inklusive fingiertem Spiel an den Luft-Ukulelen.

Brillant zog das Ensemble, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert, sämtliche Register seiner formvollendeten Sangeskunst – von reiner, klarer, dezenter Wohlklangästhetik über elegant verdichtete Erlesenheit bis hin zu uriger, ungehemmter, salopper Natürlichkeit. In unbändig humorvoller, lässiger stilistischer Elastizität scheinen sich die fünf Sänger aus allen Konventionen und Zwängen zu befreien. Und obwohl ihr Zusammenklang ganz offensichtlich geprägt wird von Vorbildern wie den King Singers oder dem Hilliard Ensemble – amarcord ist eine Klasse für sich.

Das wurde auch durch die leichtfüßigen, eloquenten Zwischenmoderationen deutlich, die den klug konzipierten intellektuellen Unterbau der Themen und Ereignisschilderungen rund um das Christfest aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchteten. Als Zugabe erklatschte sich das belustigte Publikum ein geradezu makaber daherkommendes „Parang Christmas Chutney“ aus dem Trinidad. Ein ebenso außergewöhnliches wie hinreißendes Weihnachtskonzert, facettenreich, klangintensiv und wunderbar amüsant.

DK