„Es ist was es ist“ im Tongewölbe T25:
Weibliche Welterfahrung

Künstlerinnen setzen sich mit Feminismus, Gewalt, Rassismus, Migration und Umweltfragen auseinander

08.02.2024 | Stand 08.02.2024, 19:00 Uhr |
Dagmar Nieswandt

Frieda Toranzo Jaeger arbeitet mit Stickereien. Foto: Nieswandt

Hochkarätige, weibliche künstlerische Ausdruckskraft in den verschiedensten Facetten präsentiert die Sammlung Wittmann im Tongewölbe in der Theresienstraße 25 in ihrer ersten Gruppenausstellung. Einige der Arbeiten waren bereits in früheren Schauen zu sehen. Die Themen Feminismus, Gewalt, Rassismus, Migration und Umweltfragen verbinden die in unterschiedlichsten Techniken ausgeführten Werke der neun international renommierten Künstlerinnen.

Andreas Wittmann ist fasziniert davon, wie Künstlerinnen den Skulpturbegriff neu definieren. Viele verwenden ungewohnte, einfache und leichte Materialien. So besteht das wolkenähnlich im Raum schwebende Objekt der Schottin Karla Black aus Polyethylen, dessen Innenseite sie mit Kreidestaub hellblau eingefärbt hat. Black, die bereits für den Turnerpreis nominiert war und Schottland auf der Biennale in Venedig vertreten hat, ist für ihre großformatigen und vergänglichen Bodenskulpturen aus Gipspulver und ihre raumgreifenden Hängeobjekte bekannt. Sie selbst bezeichnet ihre Arbeiten als „beinahe Malerei, beinahe Installation, beinahe Performance“.

Pamela Rosenkranz’ Skulptur „As One“ gilt als Auseinandersetzung mit den Anthropometrien von Yves Klein aus den sechziger Jahren. In Kleins Performances wurden nackte Frauenkörper zu „lebendigen Farbpinseln“ – und daher für feministische Kritiker zu Objekten degradiert. Rosenkranz’ Antwort auf Klein: Eine von Hand geformte Acrylglasscheibe, auf deren Rückseite diese Körper mit wilden, aggressiven Strichen nachempfunden werden.

Fast unsichtbar und äußerst filigran ragt die aus zwei aufeinander geklebten Glasscheiben bestehende Skulptur von Kitty Kraus in den Raum. Gegenüber an der Wand hingegen ihr massiver Griff eines ausrangierten IKEA-Einkaufswagens, dessen um ein E aus gelbem Klebeband erweiterter Namenszug zum Rätseln einlädt.

Am Boden davor glänzt eine schwarze, aus Sand, Steinen, Kunstharz und Plastikmüll geformte, originelle Wasser- oder vielleicht sogar Ölpfütze aus der Serie „Puddle“ der Niederländerin Marlie Mul, mit der sie Kritik an der allgegenwärtigen Umweltverschmutzung übt. Das Objekt steht in Dialog mit der Arbeit „In Condensation“ von Evelyn Plaschg in Raum 1. Die Künstlerin hat einen orange-gelben Feuerball aus reinem, nur leicht fixiertem Pigment auf Papier aufgetragen, der eine glühende Sonne und die mit ihr einhergehende Erderwärmung evoziert.

Als Reminiszenz an Trisha Bagas 3D-Videos und deren audio-visuelle Effekte, die aber den Rahmen der kleinen Ausstellungsfläche sprengen würden, präsentiert Andreas Wittmann das Objekt „Ear“. Es besteht aus einem, auf ein Keramikobjekt montierten, anatomischen Modell des menschlichen Ohrs.

Die Koreanerin Mire Lee ist mit einer Skulptur aus Beton vertreten. Der Titel „Eyes of Fountain of Filth #0“ wurde von dem Gedicht einer nicht unumstrittenen koreanischen Dichterin inspiriert, deren Werke häufig Gewalt gegen Frauen thematisieren. Die Arbeiten von Mire Lee setzen sich mit der Unterdrückung der Frauen in der patriarchalen Gesellschaft Koreas auf bisweilen äußerst extreme Weise auseinander.

Auch Lotus Laurie Kangs poetische, in harmonischen Nuancen gehaltene Collage „Mesoderm“ ist von ihrer asiatischen Herkunft inspiriert. Ihre Großmutter war von Nord- nach Südkorea geflohen, wo sie ein Geschäft für Körner und Samen eröffnete. Die Künstlerin hat Buchweizenkörner mit Ölpastellkreide auf einem Fotodruck verewigt und aus Silikon nachempfundene Lotuskekse daraufgesetzt.

Auf den ersten Blick wirkt das Werk „Scaping the land of the blood“ von Frieda Toranzo Jaeger harmlos. Die queere feministische Künstlerin verbindet in dem mit einem Muster aus dynamischen Pinselstrichen gestalteten Rahmen Elemente von mexikanischer Volkskunst. Doch die direkt auf die Leinwand gestickten Wellen und Wassertropfen umfassen einen gestickten, auf dem Bauch liegenden nackten Frauenkörper. Blut rinnt aus dem durchtrennten Bein. Die Stickereien sind ein Ausdruck von Toranzo Jaegers indigenem Erbe, das sie bewahren und verteidigen möchte. Dies lässt an Frida Kahlo denken, die in ihren Gemälden ihre Wunden und Verletzungen darstellte und stets in traditioneller mexikanischer Kleidung auftrat. Aber vor allem erinnert Frieda Toranzo Jaeger an die alltäglichen Morde an Frauen in Mexiko, bei denen die Opfer gefesselt auf Brachflächen abgelegt werden – „the land of the blood“ (Das Land des Blutes). Diese unzähligen Femizide bleiben im männlich dominierten Mexiko meist unaufgeklärt.

Viele der gezeigten Arbeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Aber wenn man sich auf sie eingelassen hat, geben sie auf hohem künstlerischen Niveau Einblick in die Erfahrungswelten von Frauen aus den verschiedensten Kulturen.

DK


Bis 23. März, samstags von 16 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung, im Projektraum T25 im Innenhof in der Theresienstraße 25, Ingolstadt.

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