Experten-Vortrag
Das Morden der Nazis: Wie Ingolstädter Opfer der NS-Euthanasie wurden

20.01.2025 |

In der Heil- und Pflegeeinrichtung Schloss Hartheim bei Linz wurden rund 30.000 kranke sowie geistig oder körperlich behinderte Menschen von den Nationalsozialisten getötet. Foto: Wikipedia

Über die Opfer der NS-Euthanasie aus Ingolstadt und dem ehemaligen Landkreis sprach Agnes Krumwiede am Samstagabend bei einem Vortrag des Zentrums Stadtgeschichte und des Deutschen Medizinhistorischen Museums. Das Datum war nicht zufällig gewählt.

  

Eleonore Baumann wurde nicht einmal zehn Jahre alt. Ihr kurzes Leben endete nach einem Heimaufenthalt in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz in der Gaskammer. Eleonore Baumann war vermutlich durch Sauerstoffmangel bei der Geburt halbseitig gelähmt und hatte Hirnschäden. Der Vater war Polizist, die kränkelnde Mutter überfordert. Nach dem Tod des Vaters kam sie in die Anstalt, wo sie dann ermordet wurde.

Im Gegensatz zu anderen wird das Schicksal von Eleonore nicht vergessen werden. Schüler des Scheiner-Gymnasiums wollen mit einem Gedenkstein an sie erinnern, berichtete Agnes Krumwiede am Samstagabend bei einem Vortrag des Zentrums Stadtgeschichte und des Deutschen Medizinhistorischen Museums über die Opfer der NS-Euthanasie aus Ingolstadt und dem ehemaligen Landkreis. Das Datum des Vortrags am 18. Januar war bewusst gewählt: Am 18. Januar 1940 wurden im Rahmen der berüchtigten „T4-Aktion“ erstmals Bewohner der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar in eine Tötungsanstalt deportiert. Dieser Tag ist seitdem dem Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Morde gewidmet. Etwa 300.000 Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen wurden so zwischen 1939 und 1945 getötet. Die Opferzahl der Kindereuthanasie wird auf 5000 geschätzt, davon 5 aus Ingolstadt.

56 Ingolstädter in der Tötungsanstalt Hartheim ermordet



Bisher sind 56 Ingolstädter Bürgerinnen und Bürger bekannt, die fast alle zwischen 1940 und 1941 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz ermordet wurden, weil sie psychisch erkrankt oder behindert waren. Im Durchschnitt waren sie etwa 40 Jahre alt, in etwa der Hälfte der Fälle aus Ingolstadt wurde eine angebliche Schizophrenie diagnostiziert.

Mindestens 30 Menschen aus Ingolstadt fielen den dezentralen NS- Euthanasie-Morden zum Opfer. Sie wurden überwiegend in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar durch Mangelernährung, Medikamentenüberdosierung oder systematische Vernachlässigung getötet, wobei sich dies in vielen Fällen allerdings nicht mehr hundertprozentig beweisen lässt.

Seit drei Jahren wird die NS-„Euthanasie im Rahmen des Projektes „Opfer des Nationalsozialismus in Ingolstadt“ am Zentrum Stadtgeschichte aufgearbeitet. Durch ihre Forschungen kann Krumwiede auch die Kriterien benennen, die das Schicksal der Opfer bestimmten. Neben der Dauer des Aufenthalts in der Heil- und Pflegeanstalt und der „Nützlichkeit“, sprich Arbeitsfähigkeit, war dies in erster Linie die Zuwendung der Angehörige, also die Zahl der Besuche und Briefe.

Auch Klinikum Ingolstadt Tatort des Euthanasieprogramms



Wie Krumwiede weiter herausfand, war auch das städtische Krankenhaus in Ingolstadt ein Tatort des mörderischen Programms der Nazis. Ein 78-Jähriger erhielt dort offenbar Spritzen, woran er nach einer Verlegung wenige Stunden später starb.

Ab 1943 kamen auch mehr als 80 Kleinkinder von ausländischen Zwangsarbeiterinnen in Ingolstadt zu Tode, davon über 30 im städtischen Krankenhaus und im Entbindungsheim in Gaimersheim. Die häufigste Ursache: Mangelernährung. Auch Zwangsabtreibungen an diesen Frauen sind aus Ingolstadt überliefert.

Krumwiede berichtete auch über Zwangssterilisationen von Ingolstädtern, die in München vorgenommen wurden, sowie über die Verstrickungen von Fürsorgerinnen, kommunalen Behörden, Ärzten, Hebammen, Kirchen und der Presse in diese Sterilisationen und das Euthanasie-Programm. Drei Namen erwähnte sie explizit: Ludwig Liebl, Gründer des NS-Kampfblatts „Donaubote“ und Gründer des NS-Ärztebundes, dessen Schwiegersohn, der frühere DK-Verleger Wilhelm Reismüller, sowie Josef Listl, während der NS-Zeit und nach dem Krieg nochmals OB von Ingolstadt.

Medizinische Forschung bis in die 90er-Jahre mit Hirnpräparaten von NS-Opfern



Philipp Rauh, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München, referierte dann noch über Hirnforschung mit Humanpräparaten von NS-Opfern. An den Opfern der NS-„Euthanasie“ fanden regelmäßig neuropathologisch-anatomische Befunderhebungen statt. Insbesondere die ermordeten Kinder riefen das Interesse der Hirnforscher hervor. Darunter finden sich auch Ingolstädter Opfer.

Bis in die 1990er Jahre hinein wurde in der medizinischen Forschung, Lehre und Wissenschaft mit Humanpräparaten von NS-Opfern gearbeitet. Nachdem in Archiven der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) 2015 und 2016 Hirnpräparate von NS-Euthanasie-Opfern entdeckt worden waren, erteilte die MPG den Auftrag für ein Forschungsprojekt. Im Jahr 2017 startete das Verbundprojekt „Hirnforschung an Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kontext nationalsozialistischer Unrechtstaten: Hirnpräparate in Instituten der Max-Planck-Gesellschaft und die Identifizierung der Opfer“ mit dem Ziel, die Identität der Opfer zu klären und ihren Angehörigen einen ethischen Umgang mit den sterblichen Überresten ihrer Familienmitglieder zu ermöglichen.

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