„Druck, Menschen etwas anzutun“
Verstörende Mordfantasien bei Facebook: Urteil gegen Arbeitslosen gefallen

25.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:27 Uhr

Drohungen in einem sozialen Netzwerk: Weil ein 43-Jähriger angekündigt hat, Hunderte töten zu wollen , wurde er vor dem Amtsgericht zu 150 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt. Foto: Gutierrez-Juarez, dpa

Was ist von jemandem zu halten, der in einem sozialen Netzwerk öffentlich einsehbar die Tötung hunderter Menschen in Aussicht stellt? Ein Fall für das ganz große Besteck mit Sondereinsatzkräften und Wohnungserstürmung ist da schnell zu erahnen.



Doch tatsächlich ging die Klärung dieses absonderlichen Delikts wesentlich geräuschloser und diskreter ab, denn der Ingolstädter Polizei war schnell klar, dass hier offenbar eine krankheitsbedingt nur eingeschränkt zurechnungsfähige Person am Werk war.

Immerhin reichte es für den zuletzt arbeitslosen 43-jährigen Mann angesichts der doch massiven Drohungen aber zu einem Prozess vor dem Amtsgericht. Die Anklage lautete auf Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten – darunter Mord, Totschlag und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Allerlei Enttäuschungen im zwischenmenschlichen Bereich

Die von Richterin Gabriele Seidl geführte Verhandlung offenbarte beim Angeklagten, der die Vorwürfe (fünf nachweisbare Einzeltaten) unumwunden einräumte, das Bild eines Mannes, der durch allerlei Enttäuschungen im zwischenmenschlichen Bereich mehr und mehr in soziale Isolation geraten ist. Allerdings hat er nach eigenen Angaben auch schon eine gehörige Drogenkarriere hinter sich und ist trotz Therapieversuchen bis heute nicht vom Cannabis losgekommen. Gutachter und Klinikärzte haben bei ihm eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischer und dissozialer Einfärbung festgestellt.

Es muss wohl ein Schub dieser psychischen Erkrankung gewesen sein, der den erst 2011 nach Ingolstadt gekommenen Elektriker Ende 2020 dazu veranlasste, über seinen Facebook-Account ebenso nebulöse wie beängstigende Botschaften abzusetzen. Er wolle „gut 400 Menschen“ den Tod bringen, hatte es da unter anderem geheißen, auch von „551 toten Frauen“ und von Vergewaltigungsabsichten war die Rede gewesen. Zudem fragte er in die Community hinein, welche Frau „Lust auf ein Treffen“ habe, „bei dem ich sie töte“. Ihm selbst solle dadurch „Spaß und ein gutes Gefühl“ beschert werden, denn: „Es wird eine gute Party!“

Bewährungshelfer wandte sich an die Polizei

Berufsschüler, die wohl eher zufällig auf die verstörenden Mitteilungen gestoßen waren, informierten einen Lehrer, und so nahmen polizeiliche Ermittlungen ihren Lauf. Auch der Bewährungshelfer des Angeklagten (der 43-Jährige ist wegen einer früheren Drogengeschichte noch in offener Bewährung) wandte sich an die Polizei, nachdem der Mann ihm frank und frei berichtet hatte, er verspüre einen „Druck“ und „Vorstellungen, Menschen etwas anzutun“. Diese Offenbarung sei ganz sachlich und nüchtern und deshalb durchaus ernsthaft rübergekommen, sagte der Sozialarbeiter jetzt vor Gericht aus. Es sei ihm klar geworden, dass sein Mandant sich von solchen Gewalttaten „Selbstverwirklichung, Befriedigung und Erleichterung“ versprochen habe.

Angesichts der medizinischen Gutachten und zweier zwischenzeitlicher Aufenthalte des Angeklagten in der geschlossenen Psychiatrie musste Richterin Seidl davon ausgehen, dass bei all diesen Entgleisungen eine krankheitsbedingte verminderte Schuldfähigkeit nicht auszuschließen war. Diese Straftaten passten auch so gar nicht zu den fünf Vorstrafen des Mannes, die er sich wegen Leistungserschleichung, Beleidigung und Nötigung und eben wegen einer Betäubungsmittel-Sache eingehandelt hat. In seinem Schlusswort betonte der Angeklagte, dass er „nie vorgehabt“ habe, Menschen umzubringen.

Aussicht auf Arbeitsstelle und eigene Wohnung

Besonders dringlich erschien der Vorsitzenden die Suche nach einer geeigneten Therapie für den Arbeitslosen, der nach eigenen Angaben gerade eben Aussicht auf eine neue Arbeitsstelle und eine eigene Wohnung hat, nachdem er zuletzt in einer Obdachlosenunterkunft gelebt hat. Allerdings, das machten der Bewährungshelfer und eine inzwischen bestellte Betreuerin klar, scheint es für das spezielle Krankheitsbild des 43-Jährigen in der Region kaum passende Angebote zu geben. Schon mehrfach sollen Therapieersuchen abgelehnt worden sein.

Die Staatsanwältin forderte angesichts der offenen Bewährung zehn Monate Haft „ohne“, der Verteidiger appellierte an die Richterin, seinem Mandanten einen Neuanfang und eine baldige Therapie nicht mit einer Gefängnisstrafe zu verbauen. Das verfing durchaus, denn das Urteil lautete auf Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 15 Euro. Allerdings konnte Gabriele Seidl dem Angeklagten nicht versprechen, dass die Justizbehörde nicht doch noch den Vollzug der bisherigen Bewährungsstrafe anordnen wird. Aus ihrer Sicht habe die jetzige Anklage aber mit der früheren Drogensache nichts zu tun gehabt.

DK