Konzertkritik
Unbeschwerte Eleganz

Das Armida Quartett fasziniert mit Werke von Mozart, Nikodijević und Schumann

16.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:14 Uhr

Absolut brillant: Das Armida Quartett im Ingolstädter Festsaal. Foto: Schaffer

Von Heike Haberl

Ingolstadt – Wenn ein Ensemble die Kultur des kammermusikalischen Zusammenspiels in vollendeter Perfektion beherrscht und auslebt – dann ist es ohne Zweifel das Armida Quartett aus Berlin. Besonders intensiv verschrieben haben sich die vier herausragenden, feinsinnigen Musiker in den vergangenen Jahren den entsprechenden Werken von Mozart: Nicht nur betreuen sie künstlerisch eine Neuausgabe seiner Streichquartette, sondern riefen auch das entdeckungsfreudige Projekt „Mozart Exploded“ ins Leben und wurden erst vor wenigen Monaten für ihre jüngste Mozart-Einspielung sogar mit dem Opus Klassik ausgezeichnet. Völlig zu Recht – wie bei ihrem Auftritt beim Konzertverein im Theaterfestsaal eindeutig zu hören war.

Das späte Streichquartett KV 575 gehen sie mit einzigartiger, samtweicher Intensität an, spielen es mit leichtfüßiger Unbeschwertheit, überschwänglicher Anmut, transparenter Eleganz und unvergleichlichem Charme. Ganz eng bleiben sie am Duktus des gleichberechtigten Austauschs, des lebendig sich aus dem Moment heraus entwickelnden, hellwachen dialogischen „Gesprächs“ zwischen den Instrumenten, nuancieren selbst die allerfeinsten Zwischentöne filigran heraus. Alles wirkt zwar genauestens durchdacht, aber niemals verkopft, sondern entsteht ganz natürlich, aus dem Herzen kommend, kraftvoll und frisch. An Mozart sind die vier Künstler interpretatorisch enorm gewachsen, haben ihre eigene Ausdeutungssprache gefunden – jeder für sich wie auch als gemeinsamer Klangkörper.

Auch im frühen Quartett KV 155 faszinieren die „Armidas“ durch atemberaubend klare, homogen abgestufte, schlanke und geschmeidige Tongebung, ohne zu viel Vibrato, setzen auf die überraschenden und kontrastierenden Momente, begeistern mit ihrer herrlich kantabel phrasierten und gleichzeitig individuell grandios ausgeloteten Linienführung. Wunderbare, musikalisch schwingende Kommunikation aus einem Atem, klangliches Miteinander auf höchster Ebene.

Dazwischen die wohl erstaunlichste Komposition des Abends, das zeitgenössische zweite Streichquartett des jungen Serben Marko Nikodijevi. Das Stück erweist sich als sehr rhythmisch geprägt, durchzogen von einem ganz starken, ständig durchpulsierenden Element, das in allen Sätzen zu spüren ist. Nikodijevi hat ein offensichtliches Faible dafür, Hörzustände zu kreieren, die sich weniger linear, sondern eher (wie er es selbst bezeichnet) „dezentriert“ bewegen – wie etwa bei Schubert, wo Melodien sich ebenfalls scheinbar endlos in sich kreisend anfühlen können. Bei Nikodijevi ist das in unsere heutige Sprache übersetzt, klingt teilweise fast wie Techno. Das Armida Quartett musiziert diese gleitenden, sich reibenden Glissandi, dieses mitunter quietschende Vibrieren, die pointierten Pizzicati und argentinischen Tangoanklänge, die in ihrer schroffen Fragilität manchmal tatsächlich an Astor Piazzolla erinnern, mit unbändiger Gestaltungslust, wandlungsfähiger Flexibilität, eingängiger Akzentuierung und imponierender Eindringlichkeit.

Aus der Feder von Robert Schumann stammt das vielleicht schwermütigste und tiefschürfendste Werk des Programms: Dessen Quartett in A-Dur op. 41/3 lebt vor allem von seinen lyrisch geprägten Gesten, denen Martin Funda und Johanna Staemmler an den Violinen, Teresa Schwamm-Biskamp an der Bratsche und Peter-Philipp Staemmler am Cello durch ihre changierend sich entfaltende Poetik, ihre duftig strömende Beseeltheit, ihre intim empfundene Sinnlichkeit, ihren kühn daherkommenden Fantasiereichtum, ihren nahezu manisch ausgelebten Wagemut noch zusätzliche Dimensionen verleihen. Die immanenten thematischen Brüche, die sich ständig wiederholenden und steigernden Motive schälen sie in expressiver Herbheit heraus, beherrschen aber zugleich die meisterhafte Kunst, die vielschichtigen Episoden wie ein großes Ganzes darzustellen, wie aus einem Guss erscheinen zu lassen. Schon jetzt darf man die jungen Künstler zur Riege der international führenden Streichquartette zählen. Absolut brillant!

Alle, die das Konzert aufgrund der winterlichen Witterungsverhältnisse, wegen Krankheit oder aus sonstigen Gründen nicht miterleben konnten, haben definitiv einen ebenso aufregenden wie großartigen Meilenstein innerhalb der aktuellen Kammermusikszene versäumt.

DK