Was treibt renommierte und ernst zu nehmende Jazzmusiker an, ein komplettes Programm ausgerechnet mit alten Schlagern auf die Bühne zu bringen? Warum beschäftigen sich Leute, die ansonsten eher Charlie Parker oder John Coltrane nahestehen, mit einem Genre, dem oftmals Niveau- und Einfallslosigkeit bei gleichzeitigem Übermaß an schmalzigen Schnulzen und realitätsfremdem Heile Welt-Getue nach gesagt wird?
Man darf sich diese Frage durchaus stellen, wenn Martin Schmid, Bandchef, Sänger, Moderator, Entertainer und Gentleman alter Schule, Pianist Daniel Eberhard, Kontrabassist Uli Fiedler, Walter Bittner am Schlagzeug und Klarinettist und Tenorsaxofonist Stephan Holstein unter der Bezeichnung „Swingtime“ an diesem Abend im Hof des Hundszeller Bauerngerätemuseums auftreten. Antwort: Weil’s ihnen selbst und auch den Zuhörern ganz einfach Freude bereitet. Was als Motiv absolut ausreicht. Musik soll Spaß machen.
Der Spaß kommt freilich nicht von ungefähr. Die fünf Herren da vorne auf der Bühne sind in der Tat exzellente Musiker und haben sich ganz bewusst Schlager aus der Zeit ausgesucht, in der selbige im Gegensatz zu den heutigen meist noch nicht vom Fließband kamen und rückwirkend ihren ganz eigenen Charme entfalten, noch dazu, wenn eine kompetente Band wie diese sie entstaubt und aufhübscht, indem sie sie neu arrangiert, in die Sprache des Swing übersetzt und ihnen somit neuen Schub verleiht.
Als Stücke wie „Fräulein Gerda“, „Schau mich bitte nicht so an“ oder „Ich brauche keine Millionen“ modern waren, war das die Zeit des Mittelwellenradios, der Music Boxen von Wurlitzer und Sinfonola und die Zeit, als Anhänger des Deutschen Schlagers von Gerhard Wendland über Caterina Valente bis hin zu Freddy Quinn sich erbitterte Glaubenskriege um die wahre Musik mit denen lieferten, denen Importe aus den USA und England eindeutig lieber waren.
Und jetzt lassen Swingtime also die alten Kamellen wieder aufleben, in einem Stil allerdings, der anscheinend beiden einstigen Fraktionen durchaus zusagt und auch noch die Jazzfreunde mit ins Boot lockt lockt, weil in diesem besonderen Fall ja sogar improvisiert wird, was seinerzeit beim Schlager so gut wie nie vorkam und heute noch unmöglicher wäre als damals. Die alten Songs scheinen irgendetwas an sich zu haben, was sie heute noch hörenswert macht. Hatten sie ja bei all ihrer Schlichtheit vielleicht doch mehr Substanz als die Dutzendware, die nach ihnen kam?
Vielleicht waren von Menschengehirnen ausgedachte Lieder und Texte und das Gespür ihrer Macher am Ende doch besser als die heutigen, von Computern nach vorherigen Verkaufsprognosen digital erzeugten Pseudomelodien zu Einheitsrhythmen, die dann von gesichtslosen Figuren gesungen und tags darauf wieder vergessen werden? Es schaut ganz danach aus, denn – Nostalgie hin oder her – man spielt sie immer noch, hört sie immer noch und hat immer noch seinen Spaß an ihnen. Vielleicht nicht permanent und ausschließlich, aber doch ab und zu. Noch dazu, wenn sie handwerklich so geschickt, souverän und engagiert dargeboten werden wie in diesem Fall.
DK
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