(rh) Die Wilde Zicke sieht super aus.
Ihrer anmutigen Erscheinung kann kaum ein Gast widerstehen. Mit ihrem Charme verführt sie junge Leute genauso wie ältere Herren, die den Höhepunkt ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit schon eine ganze Weile hinter sich haben und trotzdem noch was erleben wollen. Dabei sind ihre Dienste erstaunlich billig zu haben, jeder kann für ein geringes Entgelt mit ihr verkehren. Im Reich der triebgesteuerten Bewegung nimmt es so schnell keine mit ihr auf, und angesichts ihres jugendlich-frischen Outfits würde auch niemand auf die Idee kommen, dass dieses rollende Straßenmädchen schon seit 127 Jahren im Geschäft ist.
Genauso lange nämlich fährt durch Naumburg in Sachsen-Anhalt bereits eine Straßenbahn, die mehr und mehr die Herzen der Stadtbewohner erobert. Die einstige Nostalgietram- und inzwischen wieder Alltags-Linienbahn ist eine echte Sympathieträgerin des Öffentlichen Personennahverkehrs, weshalb sie von den Einheimischen liebevoll "Wilde Zicke" genannt wird (Foto: Maurer). Allen Ernstes - wer würde im Ingolstädter Nahverkehrswesen von einem, nur mal so als Beispiel, "König Brummbär" sprechen, wenn er damit nicht ein bestimmtes Mitglied der INVG-Geschäftsführung meint, was ja auf der Hand liegt, sondern einen Gelenk-Dieselbus des Unternehmens? Seit ihre historische Pferdebahn anno 1921 den Betrieb einstellte, können sich die Ingolstädter nur noch für Pferdestärken erwärmen, wenn sie in möglichst großer Zahl unter der Motorhaube schlummern, um mit lautem Röhren auf die Umwelt losgelassen zu werden.
In der 32000-Einwohnerstadt an der Saale dagegen ist der Weg des Publikumslieblings auf Schienen zum erfolgreichen Massenverkehrsmittel so gut wie vorgezeichnet. Die historische Patina der restaurierten Triebwagen, kombiniert mit emissionsfreiem Beförderungsangebot, überzeugt nicht nur die Touristen mit Destination Welterbe-Dom, sondern auch viele Naumburger, denen der Autoverkehr auf ihrer vierspurigen Ringstraße stinkt.
Mit einem Wort: Der Ingolstädter Stadtrat sollte sich nach den Erfahrungen seines jüngsten Regensburg-Trips die Sache in Sachsen-Anhalt näher anschauen, am besten mit Anfahrt per Bahn. Am Naumburger Hauptbahnhof wartet schon die Wilde Zicke. Die ist ganz scharf auf Besucher aus Bayern.
