stadtgeflüster
Die Zeit vergeht wie im Flugtaxi

29.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:09 Uhr

(sic) Schrecklich dieses Ingolstadt!

Die Höchststrafe für alle, die herziehen müssen. Was für ein ödes Nest. Tiefste Provinz. Vom Pesthauch des Mittelalters umwabert. Bis heute! Raffinerien und Dieselautos kommen zu allem Gestank noch dazu. Wenn die Welt untergeht, wird das zurückgebliebene Ingolstadt erst 50 Jahre später von der Apokalypse hinfortgerissen! - Gut, die letzte gebietskörperschaftliche Gemeinheit ist uralt; angeblich soll schon Kanzler Otto von Bismarck das schöne Brandenburg derart beleidigt haben.

Doch so war er nun mal lange Zeit, der Ruf unserer Stadt. Und manch stolzer Lüdenscheider, Meppener oder Kolbermoorer pflegt diese Vorurteile bis heute. Was einmal eine Münchnerin erzählte, die 1958 nach Haun-wöhr geheiratet hat, passt gut ins Bild des Ingolstädter Imageproblems. Als ihre Freunde erfuhren, wohin sie ihr Lebensweg führt, riefen die Münchner entsetzt: "Um Gottes willen! Doch nicht nach Ingolstadt! Da haben sie noch eine Pferdebahn! "

Naja, 1958 trabte in Ingolstadt keine einspännige Tram mehr raus zum Hauptbahnhof. Aber Zeitzeugen versichern, dass die Stadt damals so aussah, als würde wirklich gleich ein Nahverkehrsross um die Ecke biegen.

Vorbei. Heute bringen manche Nichtbayern Ingolstadt sogar schon mit Kraftfahrzeugen in Verbindung. Doch das könnte bald Vergangenheit sein, denn jetzt werden wir Flugtaxi-Standort! Wie berichtet, hat OB Christian Lösel auch auf diesem Felde Kühnes vor. Wenige Tage, nachdem er sehr überraschend seine visionäre Denkschrift "Flugtaxi Ingolstadt Plus" vorgestellt hat, reiste er mit einer städtischen Delegation nach Sofia, um das Projekt, das nicht weniger als die Zukunft unserer Stadt bedeuten wird, in der bulgarischen Hauptstadt zu präsentieren. Sein Ziel: Trotz Konkurrenten wie London oder Genf möglichst viel Fördergeld für die Lufttaxis abgreifen; Bulgarien hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne.

Deswegen hat Lösel am Donnerstag im Stadtrat gefehlt. Das waren also die "wichtigen Gespräche", über die man im Rathaus raunte. Ingolstädter Flugtaxis sollen (via Sofia) die Lüfte erobern. Da darf man schon mal eine Stadtratssitzung schwänzen, in der es um einen Regionaltarif für Busse und Bahnen geht, die auf dem Boden bleiben. Tiefstes 20. Jahrhundert! Zumindest der Öffentliche Personennahverkehr in Ingolstadt.

Seines Wissens sei er der erste Ingolstädter OB, der je bei einer Stadtratssitzung gefehlt hat, erzählte Lösel in Sofia. Auch das: historisch! Doch er wurde in der Ferne ständig über den Verlauf der Sitzung informiert. Alle paar Minuten las er auf dem Smartphone den aktuellen Stand nach. Offenbar hat ein fleißiger Mensch im Sitzungssaal ununterbrochen für den OB getickert.

Da bemerkte eine DK-Reporterin, die der Bulgarien-Delegation angehörte: "Mit einem Livestream wär's einfacher. " Frech.

Ach ja: Kaum war Lösel nicht da, dauerte die Sitzung statt sieben nur zweieinhalb Stunden. Das ist auf jeden Fall historisch!