stadtgeflüster
Mehr Kraft der Liebe

21.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:22 Uhr

(rl) Was war das nur für ein mediales Großereignis: Harry und Meghan, das royale Traumpaar 2.0, gibt sich das Jawort.

"I will", sagen die beiden - und können sich beide ein Grinsen anlässlich des Millionen-Publikums, das der königlichen Trauung in Windsor live und an den Bildschirmen der Welt beiwohnt, nicht verkneifen. Allein die Übertragung im ZDF haben sich am Samstag 5,98 Millionen Menschen nicht entgehen lassen. Das entspricht - zu dieser Tageszeit - einem Marktanteil von 43,8 Prozent. Das DFB-Pokalfinale am Samstagabend haben zwar mit 10 Millionen Zuschauern fast doppelt so viele Menschen geguckt, die Einschaltquote lag - wieder tageszeitbedingt - mit 36,0 Prozent aber deutlich unter der britischen Märchenhochzeit.

Jetzt stelle man sich mal vor, an just so einem Tag gibt der heimische Fernseher seinen Geist auf. Oder, noch schlimmer, die Ereignisse wären erst gar nicht live übertragen worden. Weil vielleicht einer der erlauchten Gäste der königlichen Trauungszeremonie datenschutzrechtliche Bedenken gehabt hätte. Könnte ja sein, dass George Clooney ein herzhafter Gähner unterläuft, der dann in Großaufnahme in der Glotze zu sehen ist. Oder, dass Prinz Harry beim Blick in die Menge ein Wort über die Lippen kommt, das nicht unbedingt für die Weltöffentlichkeit bestimmt ist. Was meinen Sie: Sollte man aus Furcht vor derlei Fauxpas, so wie der Ingolstädter Stadtrat, von einer Liveübertragung nicht vorsichtshalber gleich ganz die Finger lassen?

In diesem Falle wäre die grandiose Hochzeitspredigt des afroamerikanischen Bischofs Michael Bruce Curry, Chef der anglikanischen Kirche in den USA, der Weltöffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben. Was mindestens genau so schlimm gewesen wäre, als wenn Meghan der von Harry angesteckte Ring nicht gepasst hätte.

Oder man stelle es sich einmal andersherum vor: Ein Ingolstädter Stadtrat, der Bürgermeister oder der Oberbürgermeister halten ein grandioses Plädoyer ähnlich der Rede Bischof Currys, der in der St. George's Chapel auf Schloss Windsor die US-Bürgerrechtsikone Martin Luther King zitiert hatte. "Wir müssen die Kraft der Liebe entdecken", rief er. "Und wenn wir das tun, werden wir aus dieser alten Welt eine neue Welt erschaffen können. Liebe ist der einzige Weg. "

Stellen wir uns also vor, ein solch brillianter Redefluss erschallt im Sitzungssaal des Ingolstädter Stadtrates - und keiner kriegt's mit. Weil es nämlich keinen Livestream gibt und der Pressevertreter just in dem Moment einem dringenden Bedürfnis nachgehen muss. Was angesichts der Länge der Ingolstädter Stadtratssitzungen schon mal vorkommen kann. Wäre doch schade, wenn solch ein Feuerwerk an Rhetorik ungehört verhallen würde.

Übrigens: Ein wenig mehr "Kraft der Liebe" - im übertragenen, nicht im wörtlichen Sinn - würde dem Stadtrat nicht schaden. Dann gebe es vielleicht auch nicht so viel Gezanke um einen Livestream.