Matthias Politycki liest im Rahmen der Ingolstädter Literaturtage aus seinem neuem Roman „Alles wird gut. Chronik eines vermeidbaren Todes“. In den vergangenen Jahren machte der Schriftsteller auch durch seine Kritik an der deutschen Streitkultur von sich reden. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.
Herr Politycki, ist Ihr neues Buch „Alles wird gut“ nicht eine kulturelle Aneignung? Sie als weißer deutscher Mann schreiben einen Roman über Äthiopien.
Matthias Politycki: Seit mich der Stoff vor etwa drei Jahren überfallen hat, wird mir diese Frage ununterbrochen gestellt – meistens mit einem Augenzwinkern. Dabei geht es hier gar nicht um Aneignung, sondern um den wechselweisen Austausch zwischen Kulturen. Wir müssen miteinander im Gespräch bleiben, gerade auch in dirigistischen Zeiten. Meine Eltern haben eine radikale Form der Abschottung von Information im Dritten Reich erlebt. Sie haben mir eingeschärft, dass jeder Einzelne die Aufgabe hat, über Grenzen zu gehen, sich selber ein Bild von der Fremde dahinter zu machen und, wenn’s geht, Freunde zu gewinnen. Das mache ich bei meinen Reisen – und auch beim Schreiben.
Woke Kreise aber sind schnell mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung bei der Hand. Was verstehen Sie unter Wokeness?
Politycki: Zunächst mal eine Bewegung, die aus den USA kommt und in ihrem Ansatz viel Gutes hat. Im Wesentlichen will sie darüber nachdenken, wie wir mit Minderheiten und benachteiligten Gruppen umgehen beziehungsweise über sie reden. Allerdings hat sich die Bewegung mittlerweile radikalisiert, der positive Grundimpuls ist umgekippt in eine Maßregelung unsrer Sprache und damit unsres Denkens. Das provoziert ähnlich radikale Reaktionen auf der Gegenseite, zerstört unsre Diskussionskultur und spaltet die Gesellschaft.
Diese Maßregelungen haben Ihnen die Sprache so verleidet, dass Sie von Hamburg nach Wien emigriert sind.
Politycki: Emigriert bin ich nicht, ich bin umgezogen. Prinzipiell ist es gut, immer wieder neu zu überlegen, ob gewisse Worte einen problematischen Subtext haben. Es hat aber schnell zu Verboten geführt, die mit großen rhetorischen Keulen durchgesetzt werden. Wer dieses oder jenes Wort auch nur erwäge, heißt es dann, sei „ja fast schon rechts“. Die Fronten, zwischen denen ich aufgewachsen bin, waren damals ähnlich verhärtet. Es gab die 68er, die ihren knallharten Kurs fuhren, und es gab in Bayern die CSU, die dagegenhielt. Man hat bis zum Äußersten gestritten. Am Ende hatte man nicht nur eine empörte Meinung abgegeben und den anderen verurteilt, sondern eben auch ein Bier zusammen getrunken. Wenn jedoch schon die Sprache ideologisch vorgegeben wird, lässt sich über Ideologisches ja gar nicht mehr streiten.
Wie beeinflusste das Ihre Arbeit als Autor?
Politycki: Ich hatte keine Freude mehr beim Schreiben, weil ich bei jedem Wort Fallen und Fragezeichen erwägen musste. Ich möchte einen Text so schreiben, dass ich selbst und später der Leser in seinen Sog gezogen wird. Das war mir unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich.
Haben Sie sich beim Schreiben zensiert?
Politycki: Wir neigen inzwischen alle zur Selbstzensur. Mit meinem Lektor habe ich sogar diskutiert, ob eine Frau in meinem Roman als dick bezeichnet werden darf. Es wäre vielleicht genauso fragwürdig, von einer mageren Frau zu schreiben. Schon der Begriff „Frau“ gilt derzeit manchen als problematisch. Wenn Sie all das berücksichtigen wollen, können Sie gar nichts mehr über andere Menschen aussagen. Im Endeffekt geht es dabei gar nicht nur um Sprache. Es geht um Freiheit. Um die des Autors, aber auch um die des Lesers, was er noch lesen darf.
Als die Tagesschau kürzlich in einem Beitrag von „entbindenden“ und „gebärenden Personen“schrieb, hagelte es so viel Kritik, dass die Redaktion die Begriffe doch wieder durch „Mütter“ austauschte. Lassen sich solche Prozesse also nicht auch wieder umkehren?
Politycki: Es kommt darauf an, es auf eine vernünftige Weise zu tun. Wir sollten nicht gleich die radikale Gegenposition einnehmen, wenn wir uns gemaßregelt fühlen, wir sollten dem anderen unsere Meinung vermitteln. Eine langjährige Freundin hat mich eines Tages plötzlich angegendert. Sogleich haben wir uns darüber gestritten. Nach einiger Zeit kam eine Mail von ihr, in der stand: „Unsere Freundschaft ist mir mehr wert als das Gendern. Ich glaube, ich lasse es. Zumindest erst mal dir gegenüber.“
Aber gerade beim Gendern würden die Befürworter sagen: Wenn wir das wollen, ist es unsere Freiheit, das zu tun.
Politycki: Diese Freiheit gibt es nicht, weil die Sprache uns allen gehört und wir deshalb alle darüber bestimmen und zu einem Konsens kommen müssen, damit sie weiterhin für alle funktioniert. Wenn Radfahrer einfach beschließen würden, dass sie auch bei Rot fahren können, bricht der Verkehr zusammen, deshalb gibt es eine Straßenverkehrsordnung. Für die Sprache gibt es eine – eine – amtliche Rechtschreibung, darüber wacht als höchste Instanz der Rat für deutsche Rechtschreibung. Nur weil sich sogar andere Institutionen über dessen Vorgaben hinwegsetzen, wird es nicht demokratischer, im Gegenteil, es zeigt, in welch bedenklichem Zustand unsre Demokratie ist. Unsre Sprache ist die Plattform, auf der wir unterschiedliche Meinungen ausdiskutieren können. Indem jeder so redet, wie er will, haben wir die Plattform zerstört.
Haben Sie in Wien die Freude an der Sprache wiedergefunden?
Politycki: Sonst hätte ich „Mein Abschied von Deutschland“ und „Alles wird gut“ nicht schreiben können. Schon in Bayern ist der Umgang mit Sprachregelungen liberaler, in Wien kommt ein raffinierter Schmäh dazu. Und: In einem kleineren Staat kann man sich nicht so nachhaltig in die Tasche lügen wie in Deutschland, wo man in der neuen grün-bürgerlichen Mitte Luxusdebatten führt und dabei gar nicht wahrnimmt, welche Verwerfungen das in anderen Gesellschaftsschichten anrichtet. Das werfe ich uns allen vor – auch immer wieder mir selbst.
Diesen deutschen Kulturkonflikt trugen in ihrem vorherigen Roman „Das kann uns keiner nehmen“ die zwei zentralen Figuren unter sich aus. Auch in Ihrem neuen Werk „Alles wird gut“ nehmen weltanschauliche Kämpfe viel Raum ein.
Politycki: Wenn man schreibt, hat man zunächst keine Botschaften, man denkt in Szenen und Figuren. Themen und Thesen geraten eher „unter der Hand“ in den Text, erst beim Lesen fallen sie deutlich ins Auge. „Alles wird gut“ ist die Emanzipationsgeschichte einer starken Frau aus einer Kultur, die sie nicht so sein lässt, wie sie sein möchte. Es ist aber auch die Emanzipationsgeschichte eines schwachen Mannes, der in den westlichen Debatten die Beziehung zu seiner Männlichkeit verloren hat. Nicht zuletzt stellt der Roman die Frage: Wie kann man kulturelle Grenzen überschreiten, wenn keine gemeinsame Sprache zur Verfügung steht? Wir dürfen bei allem „Darf man das?“ ja nicht vergessen, was für ein wahnsinniger Zauber in der Anziehung zwischen Menschen liegen kann.
Das Gespräch führte
Christine Zinner.
ZUR PERSON
Matthias Politycki, geboren 1955 in Karlsruhe, ist ein deutscher Schriftsteller. Bekannt wurde er vor allem durch seinen „Weiberroman“, seine Kreuzfahrtsatire „In 180 Tagen um die Welt“ und den Roman „Das kann uns keiner nehmen“.
Lesung bei den Ingolstädter Literaturtagen:
Matthias Politycki stellt seinen neuen Roman „Alles wird gut. Chronik eines vermeidbaren Todes“ am 27. April, ab 20 Uhr in der Harderbastei in Ingolstadt vor. Tickets sind erhältlich in der Tourist-Information am Rathausplatz, im Achtzig20 Schanzer Ludwig Store sowie über www.ticket-regional.de. Weitere Informationen zu den Literaturtagen unter www.kulturamt-ingolstadt.de.
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