Mit dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Paralympics in Paris hat sich Rollstuhlbasketball-Nationalspieler Lukas Gloßner einen großen Traum erfüllt. Es ist die Geschichte eines Sportlers, der nach einem tragischen Schicksalsschlag eine neue Herausforderung suchte – und sie bei einem kleinen Verein in Ingolstadt fand.
Die Sonne war längst aufgegangen, als Lukas Gloßner freudetrunken ins Bett ging. Um sieben Uhr morgens endete die Feier, die schon am Tag zuvor in der Pariser Bercy Arena begonnen hatte. Die deutsche Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft hatte im Spiel um Bronze mit einer fantastischen Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit das kanadische Team mit 75:62 bezwungen und die erste Medaille bei den Paralympics seit 32 Jahren gewonnen.
Es war der glorreiche Abschluss zweier Sommermärchen-Wochen, die Gloßner auch einige Zeit später noch immer zu verarbeiten versucht. Bei seinen ersten Paralympics stand der 24-Jährige auf einer für ihn völlig ungewohnten Bühne, spielte vor bis zu 13.000 Zuschauern „in der richtig krassen Riesen-Arena“, wo sich wenige Wochen zuvor LeBron James und Dennis Schröder präsentiert hatten, in Partien, die sogar im Fernsehen übertragen wurden. „All diese Präsenz, diese Sichtbarkeit, die war neu, die war krass“, sagt Gloßner. „Das ist eine ganz andere Hausnummer, als ich mir jemals ausmalen konnte.“ Er werde noch ein paar Monate brauchen, „um wirklich durchzusteigen, was da in den 14 Tagen passiert ist“.
Fataler Unfall als 16-Jähriger
Wie man Herausforderungen bewältigt, weiß Gloßner spätestens seit dem 17. Mai 2016, als er mit seinem Motorrad in einer Kurve stürzte, mit dem Rücken gegen eine Leitplanke schlitterte, sich drei Wirbel zertrümmerte und sein Rückenmark durchtrennte. Davor hatte der 16-Jährige leidenschaftlich gerne Fußball gespielt, und auch die Diagnose, nie wieder laufen zu können, hielt Gloßner nicht davon ab, wieder Sport zu machen. Nur ein Jahr nach seinem Unfall versuchte er sich erstmals im Rollstuhlbasketball – und seine Karriere startete als zartes Pflänzchen in Ingolstadt.
Als Gloßner, der im kleinen Ort Bergen bei Weißenburg aufgewachsen ist, an der Technischen Hochschule sein Studium im Fach Digital Business aufnahm, schloss er sich den Schanzer Wheelys an. In der Halle des TSV Nordost lernte er die Basics des Sports, der ihn Jahre später zum gefeierten Helden machen sollte. „Sie haben mich da reingebracht, haben mir den Spaß an dem Sport beigebracht und gezeigt, wie cool das sein kann“, erzählt Gloßner.
Aufgeben war für Lukas Gloßner nie eine Option
Aufgrund seiner Querschnittslähmung kann der 24-Jährige seine Rücken-, Bauch- und Rumpfmuskulatur nicht anspannen und nutzen. Seine stark eingeschränkte Stabilität kompensiert der 1,95 Meter große Athlet, indem er sich mit seinen Händen aufrichtet. Wie im Alltag ließ sich Gloßner auch im Sport von den enormen Herausforderungen, die ihm seine neue Situation stellte, nie unterkriegen und ging sie mit bemerkenswertem Ehrgeiz, Trainingsfleiß und Anpassungsfähigkeit an. Aufgeben war nie eine Option, immer wieder testete er seine Grenzen. Sein Motto: „Alles ist möglich“.
Innerhalb kurzer Zeit kämpfte er sich bei den München Iguanas in die Bundesliga sowie ins Nationalteam, nahm an der Europa- und der Weltmeisterschaft teil. In Paris stand Gloßner in jeder Partie in den Starting Five und im Schnitt 20 Minuten auf dem Platz. Obwohl er noch nicht lange dabei ist, durfte er viel Verantwortung übernehmen. „Es hängt bestimmt damit zusammen, dass ich von meinem Unfall an lernen musste, zu kämpfen, mich zurück in den Alltag zu bringen“, sagt er. „Das hat mir auch geholfen, einen neuen Sport von Null auf zu lernen und die Hartnäckigkeit und den Ehrgeiz zu haben, das bis aufs höchste Level zu bringen.“
Gloßners wichtige Rolle im Nationalteam
Im Klassifizierungssystem des Rollstuhlbasketballs ist Gloßner ein sogenannter Ein-Punkte-Spieler: je geringer die Einschränkungen und je höher die Stabilität eines Spielers, desto höher die Punktzahl. Die höchste Punktzahl, die einem Spieler zugeordnet wird, ist 4,5, die Gesamtpunktzahl der fünf Feldspieler darf 14,5 Punkte nicht überschreiten. Die Regel fördert die Fairness im Sport und stellt sicher, dass Sportler wie Gloßner mit mehr Einschränkungen genauso wichtig für das Team sind.
Gloßners primäre Aufgabe im Spiel ist es, seinen höher klassifizierten Teamkollegen Punkte zu ermöglichen – indem er clevere Blöcke stellt und Räume schafft, auch wenn er selbst selten den Ball führt. „Manche Leute wundern sich, warum ich nicht öfter was mache. Aber wenn man in der Sportart ist, weiß man, dass es eine ehrenvolle Arbeit ist“, erklärt Gloßner.
Neue Saison, neue Ziele in der Liga
Seine Leistung bei den Paralympics hat ihm nicht nur auf dem Spielfeld große Anerkennung beschert, sondern auch als Vorbild für Menschen, die sich durch Herausforderungen nicht entmutigen lassen. Seine Reise geht weiter – mit neuen Zielen in der Bundesliga. Mit dem Bachelorabschluss in der Tasche wechselt Gloßner zur neuen Saison zu Vizemeister und Vizepokalsieger RSB Thuringia Bulls und zieht dafür nach Erfurt. Gleich am ersten Spieltag Anfang Oktober wartet eine besondere Partie auf ihn: Gloßner trifft mit seinem neuen Klub auf Aufsteiger RSV Bayreuth – und damit auf seine Freundin Lilly Sellak. Im Gegensatz zur Nationalmannschaft sind gemischte Teams auf Vereinsebene im Rollstuhlbasketball der Alltag.
Davor aber entspannen die beiden Paralympics-Teilnehmer noch ein paar Tage im Ägypten-Urlaub – und träumen noch eine Weile von ihren Erlebnissen in Paris. „Die Reise ist nicht vorbei“, sagt Gloßner. „Aber es ist ein Punkt, an dem man mal zurückschauen und stolz sein darf.“
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