Konzertkritik
Musik im Schatten des Krieges: Die Eröffnung der Audi-Sommerkonzerte

25.06.2023 | Stand 14.09.2023, 22:37 Uhr |

Youth Symphony Orchestra of Ukraineand Oksana Lyniv

Jedes Konzert findet in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld statt, das auf die Musik einwirkt. Dieser Hintergrund, der immer ein wenig mitgedacht und mitgefühlt wird, kann so dominant werden, dass er das eigentliche Ereignis, die Musik, zu überwältigen droht. Er ist dann wie ein gewaltiger Schatten, der jede Melodie, ja jeden Ton zu verschlingen scheint.

Am Freitagabend eröffnete das Youth Symphony Orchestra of Ukraine die Audi-Sommerkonzerte 2023. Aber der Krieg, der in der Ukraine tobt wie kaum je zuvor, ist, ob man es will oder nicht, immerzu gegenwärtig. Die Musik kann kaum erlebt werden, ohne dass die Gegenwart von Kanonen und Panzern, von Offensive und blutigem Gemetzel jederzeit mitgedacht werden muss. Egal, was für Werke gespielt werden, sie stehen immer im Zusammenhang von Krieg und Frieden. Ja, es stellt sich fast die Frage: Was vermag Musik überhaupt, wenn es um Leben und Tod und Freiheit geht?

Beethoven ist aktuell über Jahrhunderte hinweg

Da ist es natürlich am besten, das Orchester stellt sich dieser politischen Großwetterlage, nimmt genau die Musik ins Programm, die ohnehin in einem Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg steht. Und genau das hat das Jugendorchester immer wieder getan an diesem Abend unter ihrer Leiterin, der ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv. Am meisten gelang das ausgerechnet bei einem Werk, das schon über 200 Jahre alt ist und komponiert wurde, als man nicht über die Ukraine redete, sondern über die Auswirkungen der Französischen Revolution. Aber die Klänge von Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie, das zeigte sich an diesem Abend überdeutlich, sind von einer universeller Macht, sie bewegen über Jahrhunderte hinweg, weil sie für ewige Werte stehen.

Wenn Oksana Lyniv im Kopfsatz die Durchführung im Fortissimo ansetzt, scheint das bereits den Saal zu zermalmen. Unweigerlich drängen sich Bilder von Krieg und Katastrophe auf, Beethoven scheint hier die passende Untermalung für die Situation in der Ukraine geschaffen zu haben. Und die jungen Ukrainer im Alter zwischen 12 und 22 Jahren? Sie liefern sich ungebremst diesen Emotionen aus. Immer wieder schienen sich Beethoven und Ukraine-Krise zu verbinden – im langsamen Satz etwa, wenn sich die Stimmen zu einem schwerfälligen Marsch formierten. Und vor allem im Schlusssatz, jetzt nicht mehr in c-Moll, sondern im strahlenden C-Dur. Plötzlich tobte das Orchester, als wollte es in einem utopischen Zukunftsszenario alle Sorgen, alle Bedrängnisse mit möglichst lauten, pompösen Tönen hinwegfegen. Oksana Lyniv stellte ihre Beine eng zusammen, ihre Bewegungen wurden noch eckiger, so als wollte sie eine Militärkapelle dirigieren. Und fast wirkte sie nun eher wie ein Garnisons-Kommandant, als wie eine Musikerin. Sie trieb die jungen Musiker zu Höchstleistungen, und die machten mit, als müssten sie sich befreien von dem düsteren Schleier der Sorgen, der bisher wie ein trüber Schatten über dem Podium hing. Kein Akkord, kein Einsatz scheint laut genug zu sein, die Jugendlichen spielten, als wollten sie Krieg führen. Der Eindruck dieser himmelsstürmenden Klänge war gewaltig, übertrug sich mit aller Macht auf das Publikum, das, kaum war der letzte Ton verklungen, jubelnd von den Sitzen sprang. Kein Zweifel, das war mehr als Musik, es war eine Demonstration. So ist es nur folgerichtig, dass die Musiker schließlich hinter dem Dirigentenpodest eine ukrainische Flagge aufspannten und ihr Land hochleben ließen.

Trüber geriet der erste Teil des Konzerts. Obwohl immerhin ein Stück gespielt wurde, das unmittelbar den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine thematisierte: „The Way“ von Bohdana Frolyak wurde von dem Jugendorchester uraufgeführt. Programmatisch steht es der Beethoven-Sinfonie durchaus nahe. Auch sie vertont einen Aufbruch nach dem Muster „per aspera ad astra“ – allerdings mit ungleich milderen Mitteln. Am Anfang entwickelt sie geradezu eine Höllenmusik, voller Dissonanten, Düsterkeit, Depression. Dann allerdings scheint sich Resignation auszubreiten, die Motive werden eintöniger, ruhiger, pendeln sich ein in Trübsinn. Bis, allmählich, ganz leise, Momente von Hoffnung hervordämmern und in die Zukunft weisen.

Flötenklänge, die alle Katastrophen überstrahlen

Auch das zweite Werk des Abends, Yevhen Stankovychs „Kammersymphonie für Flöte und Orchester Nr. 3“ aus dem Jahr 1982, scheint das Kriegsgeschehen zu reflektieren. Eine beklemmende Atmosphäre hängt über dem Stück, als handle es von düsteren Vorahnungen, die sich kaum entladen können. Den Solopart übernahm hier die wunderbare ukrainische Flötistin Ivanna Ternay, deren Töne wie ein luzider Zauber alle Katastrophen zu überstrahlen schienen.

Wunderbar auch gestaltete Ternay, die derzeit Flötistin beim Bayerischen Rundfunksymphonieorchester ist, das Flötenkonzert von Malcolm Arnold – einem Komponisten, dessen Musik die meisten kennen, ohne vom Namen des Briten je gehört zu haben. Denn Arnold komponierte die Musik zu einigen der größten Film-Kassenschlagern wie etwa „Die Brücke am Kwai“. Die filmmusikalische Eleganz, das kompositorische Geschick ist auch in seinem Flötenkonzert jederzeit zu hören. Und doch wirkte genau dieses Werk, so fulminant Ivanna Ternay es auch gestaltete, ein wenig unpassend an diesem Abend. Weil es in seiner freundlichen Tonsprache nichts mit dem Kriegsgeschehen zu tun hatte. Weil es ein bisschen zu harmlos, zu unverbindlich für diese schweren Zeiten klang. Zumindest, wenn man an das gesellschaftliche Umfeld denkt, dem man sich so schwer entziehen kann.

DK



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