Ingolstadt
Wo die Blindgänger im Boden liegen

01.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:13 Uhr

Alte Luftbildaufnahmen der Alliierten, ergänzt mit Details der heutigen Infrastruktur, zeigen die Bombentrichter aus dem Jahr 1945, wie hier südlich des jetzigen Zollamts an der Münchener Straße. - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Wie viele brisante Kriegsrelikte schlummern noch in Ingolstadts Untergrund? Nach dem jüngsten Fund einer Fliegerbombe fragt sich mancher Bauherr, wie hoch das Gefahrenpotenzial ist. Die Stadt hat genau untersucht, wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht – und warnt bei gegebenem Anlass.

Es ist bereits 15 Jahre her, dass die Kommune alte Aufnahmen der Alliierten vom Landesluftbildarchiv gekauft hat. Die Aufnahmen aus dem Jahr 1945 sind zwar nicht sonderlich scharf, doch für den benötigten Zweck vollkommen ausreichen. "Wir haben damit flächendeckende Bilder von allen Bereichen. Die Bombeneinschläge in der Stadt sind darauf ganz deutlich zu sehen", sagt Ulrich Seitz, Leiter des Umweltamtes. Immer wenn die Verwaltung neue Baugebiete ausweist oder Baugenehmigungen erteilt, ist auch seine Behörde gefragt. Belange rund um Natur-, Gewässer- und Immissionsschutz sind nur ein Aspekt. Denn "auch wenn es um Altlasten und Kampfmittelrelikte geht, sind wir zuständig".
 

34 Granaten entdeckt

Umweltamtsmitarbeiter Wolfgang Holzmayer befasst sich seit Jahren mit Bomben und Sprengstoff im Ingolstädter Untergrund. Er arbeitet überwiegend mit dem Bildmaterial der Alliierten, über das die heutige Bebauung und Straßenführung projiziert worden ist. "Wenn in einer Lücke gebaut wird, können wir sofort erkennen, ob da möglicherweise Blindgänger liegen." Als Beispiel nennt Holzmayer das frühere Bahngelände beim Zollamt an der Münchener Straße, wo inzwischen ein kleines Gewerbegebiet entstanden ist. Ehe vor fünf Jahren die Bagger auf dem Areal anrückten, hatten Fachleute den Boden Meter für Meter mit Metallsuchgeräten inspiziert. "Allein dort sind 34 Granaten gefunden worden", sagt Holzmayer. Die meisten wurden sofort entschärft. Bei einer war das nicht möglich, weil sie hochzugehen drohte. "Die haben sie dann vor Ort gesprengt." Obwohl es sich nur um eine kleine Granate handelte, besaß sie genug Sprengkraft, um einen Eisenring, der zum Schutz der Umgebung um sie herumgelegt worden war, zu zerlegen.

Verdachtsfläche GVZ II

Ähnlich brisante Funde hatte es bei einer Voruntersuchung im Baugebiet zwischen Westpark und Friedrichshofen gegeben. Die Sprengmeister förderten neben einer Fünfzentnerbombe auch 250 Stabbrandbomben ans Tageslicht. "Das sind ganz gefährliche Dinger", weiß Wolfgang Holzmayer. Als gefährdetes Gebiet gilt zudem das Werksgelände von Audi, wo sich früher ein Artilleriedepot und ein Exerzierplatz befanden. Während verschiedener Großbauprojekte des Autoherstellers waren zeitweise fast jede Woche Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg aufgetaucht – zum Glück immer, ohne Schaden anzurichten. "Aktuell lassen wir das künftige Gelände des GVZ II untersuchen, wo 1919 das Nebenwerk 127 mit einem Munitionslager war", berichtet Umweltamtsleiter Seitz. "Aus dieser Zeit könnten noch Relikte im Boden sein."

Die Bombardierungen der Alliierten vor 65 Jahren konzentrierten sich auf einige wenige Bereiche in der Stadt. Die Flieger warfen ihre tödliche Last vor allem rund um den Hauptbahnhof (damals Centralbahnhof), in der südlichen Altstadt beim früheren Militärbahnhof, an der Ettinger Straße und in Haunwöhr ab. Gestern jährte sich ein Angriff, der den Luitpoldpark und das dortige Café getroffen hatte. Doch auch sonst ist mit Blindgängern zu rechnen, weil Piloten ihre Last mitunter willkürlich abwarfen, um etwa bei Beschuss durch Flugabwehr oder deutsche Jäger rascher das Weite suchen zu können. Verfüllte Trichter, die eigentlich von explodierten Bomben zeugen, bergen manchmal ebenfalls Brisantes: "Die Leute haben damals den ganzen Schutt da reingeschmissen, auch Munition", weiß Holzmayer.

Die am Samstag bei Bauarbeiten an der Steinstraße entdeckte Bombe wog übrigens 250 Pfund und nicht das Doppelte, wie von der Polizei angegeben. Der Bauherr war in seinem Bescheid sogar darauf hingewiesen worden, dass er mit solchen Funden rechnen muss. "Das zeigt recht anschaulich, dass unser System der Auswertung ganz gut funktioniert", sagt Ulrich Seitz.