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Gefährliche Schwingungen

Die Glocken des Moritzturms hätten fast das Ende des Ingolstädter Wahrzeichens eingeläutet

23.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:00 Uhr

Beruf mit Aufstiegsmöglichkeiten: Simon Westermann hat mit seinen Kollegen das Geläut im Moritzturm restauriert. Die Glocken haben neue Klöppel und Aufhängungen, die so genannten Joche, erhalten. Auch die Schlagfrequenz wurde leicht verändert - Fotos: Strisch

Der Weg zum Arbeitsplatz von Simon Westermann führt über eine enge Holztreppe. Steil geht es im Moritzturm nach oben. Stellenweise müssen die Besucher die Köpfe einziehen und die Hände zu Hilfe nehmen. Weihrauchgeruch liegt in der Luft, und aus der Tiefe dringen die Gesänge eines vorweihnachtlichen Gottesdienstes nach oben.

Schließlich versperrt eine hölzerne Luke die letzten Stufe zum Ziel des Aufstiegs: die Glockenkammer.

Seit 777 Jahren prägt der Moritzturm das Ingolstädter Stadtbild. Im Jahr 1234 ist die romanische Kirche, die schon länger an dieser Stelle stand, im gotischen Stil umgebaut worden. Dabei erhielt das Gotteshaus den spitzen Moritzturm und sein städtisches Pendant, den Pfeifturm. Zuletzt verhinderte allerdings eineinhalb Jahre lang ein Baugerüst den Blick auf das Ingolstädter Wahrzeichen. Mittlerweile ist es wieder in voller Pracht zu bestaunen, im Inneren des Turms gehen die Arbeiten allerdings weiter.

Im Dachstuhl der 20 Meter hohen Turmspitze bewegen sich zwei geschickte Kletterer. Westermann und sein Kollege sind Glockenfachmonteure und haben schon in ganz Deutschland gearbeitet. Auf dem Moritzturm ist Westermann sofort die Glocke aus der Werkstatt der Gebrüder Rosier aus dem 17. Jahrhundert aufgefallen. „So etwas sehen auch wir nicht alle Tage“, sagt er. Insgesamt verrichten sechs Bronzeglocken ihren Dienst auf dem Turm. Das wäre dem Gemäuer fast zum Verhängnis geworden.

„Jedes Gebäude hat seine eigene Frequenz“, erklärt Westermann. „Es ist normal, dass der Turm beim Läuten leicht schwingt. Werden die Glocken aber in der Eigenfrequenz des Turms geschlagen, schaukelt sich die Bewegung auf.“ Bei der Restaurierung sind bereits Risse im Mauerwerk entdeckt worden. Das Problem ist in Ingolstadt schon seit 1973 bekannt. „Bei der letzten Sanierung vor rund 20 Jahren hat man leider versäumt, das zu korrigieren“, räumt Kirchenpfleger Heinz Simson ein. „Hätten wir die Glocken zu lange läuten lassen, wäre der Turm eingestürzt.“ Die Gefahr ist jetzt gebannt. Die Glocken schlagen mittlerweile ein- bis zweimal pro Minute weniger. „Das hört aber nur ein Experte“, so Westermann.

Die Frequenz wurde durch den Einsatz neuer Klöppel erreicht. Der schwerste im Moritzturm wiegt 110 Kilo. Den mussten die Monteure mit einer Sackkarre Stufe für Stufe in die Glockenkammer wuchten. Es gibt aber noch schwerere Exemplare. Westermann hat auch schon am Klöppel der Jahrtausendglocke im Hamburger Michel gearbeitet. „Der wiegt sogar 300 Kilo – dort gibt es allerdings einen Lift.“

Einen Fahrstuhl im Kirchturm wird es auch nach der Restaurierung des Moritzturms nicht geben. Zumindest ist jetzt der Dachstuhl saniert, die Glocken werden ab sofort nicht mehr mechanisch, sondern elektrisch gesteuert. Außerdem wurde im Turm eine Sprinkleranlage eingebaut. „Es ist fast ein Wunder, dass der hölzerne Turm in den vergangenen 750 Jahren nie abgebrannt ist“, sagt Simson. Glück hatte der Moritzturm vor allem am 21. April 1945. Eine Fliegerbombe verpasste ihn knapp und schlug im Kirchengebäude ein. Teile des Chors stürzten ein, der Turm allerdings blieb stehen. So dient er in der Schanz nach wie vor als Orientierungspunkt und städtisches Wahrzeichen – und bimmeln können die Ingolstädter auch wieder nach Lust und Laune. Zum Beispiel am heutigen Heiligabend bei der Christmette.