Ingolstadt
Mit „Schöffi“, „Stasi“ und „Rudi“ fing es an

Vor einem halben Jahrhundert zogen die ersten Wisente in das Naherholungsgebiet am Baggersee ein

13.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:17 Uhr

Friedliche Koexistenz: Wisente...

Als Mitte 1972 die ersten drei Wisente im Wildpark am Baggersee eintrafen, wusste niemand so recht, wie die Viecher eigentlich heißen. Die aus Polen stammenden Tiere hätten schier „unaussprechliche Namen“, klagte der damalige Berichterstatter des DK. Doch so ganz anonym sollten die letzten Vertreter dieser wild lebenden Rinderrasse in Ingolstadt nicht bleiben, befand der Verein „Erholungsgebiete der Region“, der als Träger für den Wildpark fungierte. Paten wurden gesucht und waren auch schnell gefunden: Audi NSU, Sparkasse und Schöffbräu, später besser bekannt als Ingobräu. Dementsprechend hießen sie „Schöffi“, „Stasi“ und „Rudi“ – nach dem damaligen VW-Chef Rudolf Leiding. Später erhielten im Zuge einer Aktion des DK übrigens auch einige andere Tiere dort einen Namen: Der Rothirsch hieß „Schubsi“ (Schubert & Salzer) und die beiden Wildschweine „Krafti“ und „Bussi“ (Kraftverkehr Bayern).

Die Idee für den Wildpark am Baggersee stammte allerdings weder von der Brauerei, dem Geldinstitut oder dem Automobilhersteller. Es war der gebürtige Ingolstädter Hubert Weinzierl, langjähriger Vorsitzender des Bundes Naturschutz in Bayern, der bereits Mitte der 60er-Jahre den Vorschlag eines 16 Hektar großen, eingezäunten Areals am Baggersee unterbreitet hatte. Elche, Otter, Biber, Fischotter, Rehe, Uhus, Dam- und Rotwild sowie diverse Enten- und Gänsearten sollten sich dort tummeln. Der Baggersee erschien bereits in den 60er-Jahren genau der richtige Ort zu sein, weil dort später einmal ohnehin ein Naherholungsgebiet entstehen sollte und eine Gaststätte (früheres Fischerheim) existierte.

Die Idee fand auf Anhieb Unterstützer im Stadtrat, wie etwa den verstorbenen Ex-OB-Otto Stinglwagner und seinen Nachfolger, Alt-OB Peter Schnell. Anfang Juni 1972 wurde dann – gleichzeitig mit dem Naherholungsgebiet Weichering – der Wildpark eröffnet. Die drei Wisente waren die Attraktion (es gab damals weltweit nur 400 Tiere), verzogen sich aber rasch ins Gebüsch. Prominentester Gast war Bayerns Umweltminister Max Streibl, später Ministerpräsident im Freistaat. Er sprach von einem Gewinn für die Region – und das bis heute, vor allem bei Familien mit Kindern.

Im Mai 1974 stellte sich erstmals Nachwuchs im Wisent-Gehege ein: „Isidor“ und „Isabeau“ wurden zwei Jahre später verkauft, nachdem sich die Wildrinder so erfolgreich fortgepflanzt hatten, dass das Gehege zu klein werden drohte. Ein Vorgang, der sich im Laufe der Jahrzehnte mehrmals wiederholen sollte – und immer schwieriger wurde. Denn die einst fast ausgerottete Art hat sich in Zoos, Gehegen und auch in freier Natur prächtig erholt.

Auch am Baggersee gefällt es den imposanten Tieren, die ein Gewicht von einer Tonne erreichen können, hervorragend. Acht Wildrinder leben derzeit dort, nachdem an Pfingsten Nachwuchs zur Welt kam. Stier „Doni“ ist übrigens aus dem Haus im Moos, wo sich seit 20 Jahren die Tiere in Freilandhaltung vermehren, an den Ingolstädter Baggersee gekommen. Das insgesamt 14 Hektar großen Areal ist in drei Gehege aufgeteilt: eins für die Wildschweine, eins für Rotwild und Mufflons und eins für Wisente und Damwild. Elche leben dort nicht mehr – genauso wenig wie die Schnappschildkröte, die einst jemand im Wisent-Tümpel ausgesetzt hatte.

„Wir setzen hier auf den Öko-Gedanken“, sagen Peter Motzet und Monika Dollinger bei einem Ortstermin am Baggersee. Es wird nicht gedüngt, stattdessen hat man ein großes Bienenhotel aufgestellt, lässt Totholzhaufen liegen und mäht einen Teil der Wiesen wegen der Schmetterlinge nicht. Tagsüber grasen die Wisente friedlich in ihrem Gehege, werden aber zusätzlich mit Heu und Kraftfutter versorgt. Das Füttern der Wisente ist übrigens untersagt – vor einigen Jahren ist ein Tier an schimmligem Brot gestorben. „Am liebsten mögen sie gelbe Rüben und Futterrüben“, weiß Motzet, der seit 20 Jahren für den Wildpark zuständig ist und fast jeden Tag vorbeischaut und dabei stets genau die Zäune kontrolliert.Dabei hat sich auch eine gewisse Routine eingespielt. „Sie wissen, wann sie gefüttert werden“, erzählt Motzet: „Sie erkennen das Motorengeräusch des Autos.“

Die Tiere selbst sind ziemlich pflegeleicht, wie er erzählt. „Die Haltung ist praktisch ein Selbstläufer.“ Ausgebrochen ist noch nie eines der Wildrinder, die übrigens Drohnen nicht leiden können. Alle paar Jahre muss der Stier ausgetauscht werden, um Inzucht zu verhindern, während die weiblichen Tiere bleiben. Alle Wiederkäuer im Wildgehege am Baggersee haben einen Rinderpass und eine eigene Ohrmarke. „Die bleiben aber in der Schublade“, erzählt Motzet.

Freuen dürfen sich alle Fans der Wisente am Ingolstädter Baggersee auf den September: Dann ist anlässlich des Jubiläums ein Tag der offenen Tür mit einem interessanten Programm geplant.

DK