Auf der Teststrecke in Boxberg rollt ein ganz besonderes Fahrzeug aus der Box – der finale Audi R8 LMS GT3. Mit ihm endet nicht nur die Produktion eines der erfolgreichsten Kundensportfahrzeuge, sondern auch eine Ära im Motorsport.
Durch zwei Tunnel geht es hinauf zur Rennstrecke, das Schild „High Speed Oval“ zeigt an, was gleich zu erwarten ist. Markus Winkelhock lässt den R8 LMS über die Steilkurven der Rennstrecke gleiten, schaltet die Gänge durch, fährt die Bremsen an. Das Röhren des Zehnzylinders dröhnt über den Asphalt. Auf der Teststrecke im baden-württembergischen Boxberg wird das Rennauto eingefahren und auf Herz und Nieren geprüft, ehe es an den Kunden ausgeliefert wird. Audi hat dafür auf dem Bosch-Gelände eine Box gemietet, Elektriker, Ingenieure und Mechaniker stehen mit Laptops, Checklisten und Schlagschraubern um den R8 herum und hören sich gespannt an, was Winkelhock von seinen Testrunden zu berichten hat.
Es ist nicht irgendein Auto, das an diesem Tag seinen Rollout absolviert – es ist Chassis-Nummer 183 der zweiten Generation des R8 LMS GT3, „The Last One“, wie auf einer Plakette auf der Beifahrerseite steht. Es ist das Auto, das bei Audi eine Ära beschließt. Im Juli 2023 hatte der Vorstand beschlossen, den Bau aller Kundensport-Autos einzustellen – eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen. Seit Gründung des „Customer Racing“-Programms bestritten die Boliden aus der Audi-Manufaktur weltweit rund 800 Rennen im Jahr und sammelten in den vergangenen 15 Jahren beeindruckende 549 Meisterschaftstitel. Darunter waren besonders namhafte Einzelsiege wie die insgesamt elf Triumphe bei den 24-Stunden-Rennen am Nürburgring und in Spa. „Wir haben Epochen beschrieben“, sagt Audi-Kundensportleiter Chris Reinke.
Audi setzt den Fokus auf die Formel 1
Doch die glorreiche Zeit der prestigeträchtigen Siege ist vorbei. Die Ingolstädter verzichten auf den Marketingwert des Kundensports, die Entscheidung folgt dem strategischen Fokus auf den Formel-1-Einstieg im Jahr 2026. Auch wenn im Vergleich zum Engagement in der Königsklasse des Motorsports Kosten und Aufwand für den Kundensport gering sind. Der Vertrieb der Kundenfahrzeuge ist nun abgeschlossen, am Ende dieses Jahres wird der Fahrerkader, der in der Spitze im Jahr 2022 18 Piloten umfasste, endgültig aufgelöst. Wie es mit der Abteilung mit ihren 101 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern langfristig im Schatten der Formel 1 konkret weitergeht, da hält sich das Unternehmen noch bedeckt. Reinke hofft auf „motorsportnahe Projekte“ abseits des Wettbewerbs auf der Rennstrecke.
Winkelhock hat in seinen zwölf Jahren als Fahrer bei Audi Sport Customer Racing mit dem R8 LMS einige seiner größten Rennerfolge gefeiert, darunter drei Triumphe auf dem Nürburgring und zwei Siege in Spa. Ob in Daytona oder Indianapolis, im australischen Bathurst, im japanischen Suzuka oder im südafrikanischen Kyalami – Winkelhock liebte es, auf der ganzen Welt zu fahren. Als der 44-Jährige einige Stunden nach seinem Rollout durch die Werkstatthalle in Biberach spaziert, bleibt er vor einem Foto stehen, das ihn bei seinem ersten Auftritt auf der Nordschleife zeigt. „14 Jahre ist das jetzt her, mein erster 24er“, reflektiert Winkelhock – und es weht ein wenig Nostalgie vergangener glorreicher Zeiten durch die Halle.
Markus Winkelhock bedauert das Ende des Kundensports
Als er noch in der Nähe wohnte, hatte Winkelhock häufig den Rollout übernommen. Kaum einer kennt den R8 LMS so gut wie er; ob etwas mit dem Getriebe nicht stimmt, die Bremsen unverhältnismäßig vibrieren oder die Traktionskontrolle nicht funktioniert, merkt er schon nach wenigen Metern. Seit der frühere Formel 1- und DTM-Pilot nach Prag gezogen ist, überließ er die Funktionschecks anderen Audi-Fahrerkollegen, doch für die Ausfahrt des letzten R8 LMS hat Winkelhock die 500 Kilometer weite Anreise gerne auf sich genommen. „Ich wäre gerne noch einige Jahre mit dem R8 im Kreis gefahren“, sagt Winkelhock. Am Ende des Jahres läuft auch sein Fahrervertrag aus. „Ich finde es schade, dass man so entschieden hat. Aber es gibt einige Fahrer, die wahrscheinlich froh wären, wenn sie so viele Jahre bei so einem Hersteller hätten fahren können, deswegen blicke ich zurück und kann sagen, ich habe eine tolle Zeit gehabt.“
Auch für die 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Biberach ist der finale Rollout emotional. Für das Abschiedsfoto postiert sich ein Großteil noch einmal um „The Last One“, das letzte Exemplar. Seit 2008 hatten sie die Chassis der GT2-, GT3- und GT4-Varianten des R8 LMS, die von den nahe gelegenen Böllinger Höfen geliefert wurden, zu Rennwagen aufgebaut. Rund zehn Arbeitstage dauerte eine Montage; Rollout, Nacharbeit und Qualitätskontrolle beanspruchten eine weitere Woche. Insgesamt wurden in den 15 Jahren inklusive der RS 3 LMS fast 800 Rennwagen produziert.
Der letzte Rennwagen geht nach Österreich
Wenn auch das Pensum deutlich geringer wird und die Zeiten großer Rennsiege mit Audi-Sport-Piloten vorbei sind, bleibt das Team in Biberach vorerst erhalten, denn viele Kunden werden die Fahrzeuge weiter einsetzen. Audi hat sich verpflichtet, die Partner acht weitere Jahre technisch zu unterstützen und mit Ersatzteilen zu versorgen. Aktuell sind weltweit noch 600 Kundenfahrzeuge in 70 Motorsportserien im Einsatz, allein in diesem Jahr wurden bisher 37 Titel mit den vier Modellen gewonnen, fünf Meisterschaften führen die Ingolstädter nach eigenen Angaben im Moment weltweit an.
Michael Doppelmayr, Chef des gleichnamigen Vorarlberger Seilbahnkonzerns und seit den späten 70er-Jahren leidenschaftlicher Hobbyrennfahrer, tritt seit vier Jahren in einem R8 LMS vorwiegend bei Langstreckenrennen an. Der 66-Jährige ist es, der eine Woche nach dem Rollout das letzte Exemplar in Ingolstadt abholt. 438 000 Euro netto lässt sich der Unternehmer seine Anschaffung kosten, doch der emotionale Wert des finalen R8 LMS GT3 übersteigt alles. Die Freude ist Doppelmayr anzumerken, als er in den Hallen der Audi Tradition sein Rennauto erhält. Dass es wirklich das allerletzte ist, hat er soeben erst erfahren. Die Überraschung ist gelungen, die Ehre ist ihm Auftrag zugleich: „Wir werden“, verspricht Doppelmayr, „sicher das eine oder andere Rennen damit gewinnen.“
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