Feminismus
„Männer sind die besseren Angeber“ – Interview mit dem Soziologen Martin Schröder

26.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:05 Uhr

Der Mann arbeitet, die Frau wirkt an Heim und Herd: Hat das traditionelle Rollenmodell doch seine Berechtigung? Martin Schröders neues Buch „Wann sind Frauen wirklich zufrieden?“ wird viele Feministinnen und Feministen verärgern. Fotos: Imago, Tschanz-Hofmann, privat

Herr Prof. Schröder, nach über 100 Jahren Kampf für Frauenrechte: Sind Frauen immer noch benachteiligt und das unglückliche Geschlecht?
Martin Schröder: Die eine Frage ist klar zu beantworten: Messbar ist das Unglück der Frauen nicht. Untersuchungen zeigen, dass Frauen durchschnittlich genauso zufrieden mit ihrem Leben sind wie Männer. Anders sieht es bei der Benachteiligung aus. Hier gibt es einige Bereiche, etwa bei Alleinerziehenden, wo Frauen durchaus noch im Nachteil sind. Aber auch Männer sind in einigen Bereichen benachteiligt gegenüber Frauen.

Das verblüfft. Da fallen uns doch noch ein paar mehr Beispiele für Benachteiligungen ein. Etwa der Gender-Pay-Gap: Frauen werden immer noch 18 Prozent schlechter bezahlt als Männer.
Schröder: Das Problem besteht immer, wenn man von Ergebnis-Ungleichheit auf Chancenungleichheit schließt. Denn Menschen tauschen Gehalt unter Umständen gegen etwas anderes ein – zum Beispiel mehr Sinn im Job, die Möglichkeit, mehr Zeit für andere Dinge des Lebens zu haben. Dieser Aspekt wird bei diesen Untersuchungen, in denen es nur um die Höhe des Gehalts geht unterschlagen. Also: Allein die Tatsache, dass weniger bezahlt wird, ist noch kein Beleg für Benachteiligung.

In Ihrem Buch haben Sie ausgeführt, dass Männer und Frauen mit einer etwas anderen Erwartungshaltung ans Leben herantreten.
Schröder: Genau. In vielen Bereichen sind sich Frauen und Männer sehr ähnlich. Es gibt allerdings besonders einen Lebensbereich, wo Unterschiede stark hervortreten – und zwar schon seit langer Zeit, wie Untersuchungen belegen, die bereits vor rund 100 Jahren vorgenommen wurden. Es geht um die Dichotomie Things vs. People: Menschen gegen Sachorientierung. Frauen haben ein stärkeres Interesse an Bereichen, die mit Menschen zu tun haben, Männer eher an Bereichen, die mit Sachen, Gegenständen, Geräten zu tun haben.

Das drückt sich offenbar auch in der Studien-, Berufsbildungs- und Arbeitsplatzauswahl aus.
Schröder: Ich habe gerade eine Untersuchung gelesen, die das eindrucksvoll bestätigt. Allein wenn man von einem Beruf weiß, wie sach- oder wie menschenorientiert er ist, kann mit einer fast 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden, ob mehr Frauen oder mehr Männer dort arbeiten. Das ist ein extrem hoher Wert bei einer Korrelation. Bei sachorientierten Berufen allerdings ist es leichter, viel Geld zu verdienen.

Warum?
Schröder: Weil diese Berufe in der Regel skalierbar sind. Ein Krankenpfleger kann nur sehr schwer deutlich mehr Patienten betreuen. Anders ein Industriearbeiter, der relativ einfach durch Rationalisierung zehnmal soviel Produkte herstellen kann. Da kann man stärkere Produktivitätsgewinne erwirtschaften.

Ein Bereich, bei dem der menschliche Faktor besonders wichtig ist, sind generell Führungspositionen. Dennoch sind hier Frauen nach wie vor stark unterrepräsentiert.
Schröder: Das ist schwieriger zu erklären. Hier wüsste ich nicht, warum Frauen weniger oft zum Zuge kommen, und ich tendiere dazu, von einer klassischen Diskriminierung auszugehen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in Ländern wie Algerien, Saudi-Arabien usw. die nicht gerade als besonders fortschrittlich gelten, Frauen besonders häufig sogenannte Mint-Fächer studieren. Wie erklären Sie sich das?
Schröder: In fortschrittlichen, aufgeklärten Gesellschaften studieren Frauen die Fächer, die sie am meisten interessieren, und das sind eben nicht die Mint-Fächer Mathematik, Naturwissenschaften oder Maschinenbau. Daran zeigt sich auch, dass Gleichberechtigung nicht Gleichstellung bedeutet. Eine besonders freiheitliche Gesellschaft führt nicht zur Gleichheit von Frauen und Männern, sondern dazu, dass Frauen eher das machen können, was sie wirklich wollen, und das sind eben eher geisteswissenschaftliche Fächer.

Benachteiligung scheint es auch im Hochschulbetrieb zu geben. Immerhin gibt es wesentlich weniger Professorinnen als Professoren – obwohl junge Frauen inzwischen beim Abitur besser abschneiden als Männer.
Schröder: Diesen Bereich habe ich selbst genauer erforscht und zwar die Fächer Soziologie, Politikwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie. Dabei hat sich herausgestellt, dass in Bewerbungsgesprächen Frauen keinen Nachteil haben, sondern eher einen Vorteil. In einer weiteren Untersuchung wurden fiktive Bewerbungen verschickt, wobei sich herausstellte, dass bei gleicher Qualifikation eher Frauen als Männer zu Gesprächen eingeladen wurden. In einer anderen Untersuchung in den USA bei Mint-Fächern wurde festgestellt, dass Frauen bei gleicher Qualifikation doppelt so häufig eingestellt werden wie Männer. Also: Eine Benachteiligung bei den Bewerbungen scheint es nicht zu geben, daran kann es nicht liegen, dass es so wenige Professorinnen gibt.

Care-Arbeit, also Hausarbeit, Kinder- und Altenbetreuung, bleibt fast immer zum größten Teil bei den Frauen hängen. Auch eine große Ungerechtigkeit?
Schröder: Bei Hausarbeit empfinden die Frauen das auch selber so, und sie sind damit auch nicht zufrieden. Das wird auch von den Männern bestätigt. Wenn man Frauen aber fragt, was das von ihnen bevorzugte Lebensmodell ist, wünschen sie keine Gleichverteilung. Vielmehr wollen sie meist halbtags arbeiten, während der Mann ganztags arbeiten soll. Wenn man also nach den Präferenzen fragt, dann zeigt sich, dass Frauen sich beispielsweise mehr um die Kinder kümmern wollen.

Frauen sind auch in der Politik unterrepräsentiert. Sie werden jetzt wahrscheinlich wieder sagen, dass Frauen eben andere Präferenzen haben.
Schröder: Dazu gibt es jetzt eine interessante Untersuchung: Frauen werden eher gewählt als gleichartig qualifizierte Männer.

Klingt gut. Dennoch mangelt es an Frauen im Politbetrieb. Ist das nicht problematisch? Schließlich sollten die Interessen der Frauen genauso berücksichtigt werden wie die der Männer.
Schröder: Das Argument ist durchaus einleuchtend. Man balanciert da allerdings zwei konträre Ziele. Die Menschen müssen alle angemessen repräsentiert werden in einer Demokratie. Das andere Ziel ist, die Menschen müssen wählen dürfen, auf welchen Gebieten sie sich engagieren wollen. Da gibt es wahrscheinlich kein richtig oder falsch. Mit der Idee, das verschiedene Gruppierungen gleich proportional vertreten sein sollten, kann man es im Übrigen auch übertreiben. Denn wie sieht es mit den Ost- und Westdeutschen aus, mit den verschiedenen Altersgruppen, Religionen, den Berufsgruppen? Irgendwann hat man so eine Art Ständeparlament.

Da haben Sie sicher recht. Aber sollten wir wirklich ein derartig starkes Ungleichgewicht bei Frauen und Männer akzeptieren? Was halten Sie denn von Quotenregelungen?
Schröder: Es gibt gute Gründe für Quoten. Die liegt darin begründet, dass sich Männer einfach mehr zutrauen und daher stärker in höhere Positionen drängen als Frauen. Männer sind sozusagen die besseren Angeber. Wenn man Frauen vor die Wahl stellt, sich in eine stärkere Konkurrenzsituation zu begeben, verzichten sie lieber darauf. Das jedenfalls zeigen Untersuchungen. Bedauerlich, dass Frauen die Konkurrenz vermeiden, die sie eigentlich gewinnen würden. Das ist die eine Seite der Argumente. Dagegen steht: Soll man Frauen wirklich zu ihrem Glück zwingen, soll man sie durch Quoten in eine Situation der Konkurrenz bringen, in die sie sich aus freien Stücken eher nicht hineinbegeben würden?

All das, was sie schildern, läuft auf ein sehr traditionelles Geschlechterbild hinaus. Stört Sie das nicht?
Schröder: Das würde ich nicht behaupten, wenn man sich meine Ergebnisse anschaut. Denn wofür trete ich am Ende ein? Ehegattensplitting abschaffen zugunsten eines Familiensplittings; bessere Kinderbetreuung, geschlechterblinde Bewerbungsgespräche. Ich trete dafür ein, dass man den Menschen die Möglichkeit geben sollte, so zu leben, wie sie möchten, solange sie niemandem damit weh tun. Ich denke meine Position ist – losgelöst von den derzeitigen Parteien – eher liberal als konservativ.

Sie konzentrieren sich in Ihrem Buch besonders auf die subjektive Befindlichkeit der Frauen. Aber es gibt doch auch objektive Benachteiligungen. Auf die macht besonders Caroline Criado-Perez aufmerksam. Etwa darauf, dass Damen-Toiletten in öffentlichen Gebäuden von der Fläche her gleich groß sind wie die der Männer. Allerdings benötigen Frauen auch mehr Raum und Zeit. Sodass sich dort regelmäßig lange Schlangen bilden. Eine Ungerechtigkeit.
Schröder: Da hat Caroline Criado-Perez sicher recht. Ich habe von ihr gelernt, dass sich Herzinfarkte bei Frauen anders äußern als bei Männern, dass sich ein männlicher Crashtest-Dummy anders verhält als ein weiblicher usw. Insofern muss man auf die körperlichen Befindlichkeiten der Frauen Rücksicht nehmen. Das ist auch ein Argument gegen Gleichstellung. Es gibt unterschiedliche Leben von Männern und Frauen, und dem muss man gerecht werden.

Viele Feministinnen beklagen, dass Frauen in einem gewissen Sinne unsichtbar sind in unserer Gesellschaft. Sie und ihre Bedürfnisse werden nicht gesehen. Ist da etwas dran?
Schröder: Ich finde die Argumente von Criado-Perez, dass in einer Welt, in der Männer meistens die wichtigen Entscheidungen treffen, die Belange der Frauen zu kurz kommen, absolut plausibel. Das wäre ein Argument für stärkere politische Repräsentation der Frauen.

Dass Frauen ein Stück weit unsichtbar sind hat vielleicht auch etwas mit der Sprache zu tun. Da werden Frauen beim Generischen Maskulinum nichts eigens berücksichtigt, sondern laufen quasi in der männlichen Sprachform irgendwie mit. Sollten wir mehr Gendern?
Schröder: Es spricht vieles dagegen. Oft wird ja argumentiert, dass die Sprache unsere Vorstellung von Welt vorkonfiguriert. Es ist aber auch das Gegenteil der Fall. Das Beispiel, das oft gebracht wird, ist, wenn wir uns etwa einen „Polizisten“ vorstellen sollen, dass wir dann sofort an einen Mann denken. Das hat aber möglicherweise nicht nur etwas mit der Sprache zu tun. Wenn wir etwa an einen „Kindergärtner“ denken sollen, kommt uns möglicherweise eine Frau in den Sinn. Nicht allein die Sprache trägt die Rollenbilder, sondern die Rollenbilder selbst prägen unsere Vorstellungen.

Wie heftig wird eigentlich inzwischen an den Universitäten gegendert?
Schröder: Es gibt einen gewissen Konformitätsdruck zu gendern. Und es hängt ja auch ein ziemlich großer Moral-Rattenschwanz daran. Das ist ja schon keine Privatsache mehr, ob man gendert oder nicht, sondern eine quasi politische Äußerung. Man demonstriert damit, dass man zu den Guten gehört.

Wenn man Ihr Buch liest, gewinnt man den Eindruck, dass der Feminismus bereits nahezu alles erreicht hat, was erreicht werden sollte.
Schröder: Es gibt drei Punkte, wo meine Argumentation nicht funktioniert: häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung und bei Alleinerziehenden. Bei Alleinerziehenden zeigt sich, dass sie grundsätzlich in verschiedenen Belangen unzufriedener mit ihrem Leben sind. Sie haben offensichtlich ein schlechteres Leben. Allerdings bezieht sich das auf alle Alleinerziehenden, also nicht nur auf Frauen.

DK



Das Interview führte

Jesko Schulze-Reimpell.


ZUR PERSON

Martin Schröder (42) ist seit 2022 Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Europa an der Universität des Saarlandes, nachdem er zuvor Professor für die Soziologie der Wirtschaft und Arbeit in Marburg war. Seine Forschungsschwerpunkte sind soziale Ungleichheit und Gerechtigkeitsvorstellungen sowie empirische Genderforschung. Er veröffentlichte 2023 das Buch „Wann sind Frauen wirklich zufrieden? Überraschende Erkenntnisse zu Partnerschaft, Karriere, Kindern, Haushalt“ im Bertelsmann-Verlag.