Herzwärme auf der Alm

„Heidi“-Gastspiel des Stadttheaters Brünn mit Liedern und Texten von Michael Schanze

04.01.2023 | Stand 17.09.2023, 6:10 Uhr

Alpenidylle ohne Kitsch: Szene aus „Heidi“ als Gastspiel aus Brünn. Foto: Kratovil

Von Robert Luff

Ingolstadt – Seit Jahrzehnten begeistern Johanna Spyris Bücher um das unbekümmerte Naturkind Heidi Kinder und auch Erwachsene, die sich ein Stück Nostalgie versprechen, wenn sie in die Welt der Schweizer Alpen eintauchen, über sattgrüne Almen schreiten und dem Geißenpeter zusehen, wie er seine Ziegen hütet.

In Ingolstadt war nun das Stadttheater Brünn zu Gast und präsentierte eine fulminante Heidi-Show mit viel Text, aber auch mit rasanten Tanz-Einlagen und außergewöhnlichen Liedern.

Hans Dieter Schreeb schrieb das Buch und kein Geringerer als Michael Schanze, preisgekrönter Moderator, Musiker, Autor und Schauspieler, komponierte die Musik und verfasste die Liedtexte. Bei solcher Prominenz durfte man gespannt sein, ob der Spagat zwischen den Zielgruppen gelingt, zumal alle Vorstellungen abends angesetzt waren. Und obwohl Schanzes Lieder meist keine Ohrwürmer sind und die Sänger stimmlich herausforderten, ist das Experiment geglückt: Bühnenbild, Lichtregie, Schauspieler und Musik fanden zu einer einzigartigen Symbiose zusammen und verzauberten das Publikum vom ersten Moment an.

Dies mag auch am Konzept des Brünner Stadttheaters liegen, das immer wieder Schauspiele und Musicals vor einem tschechischen Publikum aufführt und zugleich fürs Ausland adaptiert. Die gesunde Mischung deutschsprachiger Akteure für die Hauptrollen und einer internationalen Besetzung der Nebenrollen machte auch in Ingolstadt den Reiz des Musicals aus. Isabel Waltsgott brillierte als Sopran in der Titelrolle und Laura Dietz stand ihr als Klara, die ihr Schicksal im Rollstuhl hinreißend schön beweinte, in nichts nach. Zum eigentlichen Star des Abends wurde für viele Zuschauer aber Oliver Koch, der als bärbeißiger Alm-Öhi nicht nur im breitesten Schwyzer-Dütsch schwadronierte, sondern auch sein weiches Herz unter der rauen Schale in einem hochemotionalen Tenor öffnete.

Ein Kind, das im Einklang mit der Natur lebt

„Ich bin das Heidi“, begrüßt das Waisenkind seinen Großvater in der unnachahmlich authentischen, liebenswert vorlauten Diktion eines Mädchens, das am liebsten im Einklang mit der Natur und seinen Mitmenschen lebt. Und es rührt tatsächlich an des Herz des alten Grantlers, der sich schon lange von der Welt zurückgezogen hat, nun aber ins Grübeln kommt. „Wie kann es sein? Kann mich dieses kleine Mädel wieder zu dem Menschen machen, der ich früher einmal war?“, fragt sich der Öhi ganz allein auf der Bühne in einem ergreifenden Solo.

Den Rest der Geschichte kennt jeder im Publikum: Heidis tiefe Freundschaft mit Peter, die unvergesslichen Erlebnisse auf der Hochalm einschließlich Gewitter und glimpflich verlaufendem Absturz, das jähe Ende des unbeschwerten Glücks und die Reise nach Frankfurt, wo Heidi die querschnittsgelähmte Bankierstochter Klara aufmuntern soll. Schließlich ihr Heimweh und die ärztlich verordnete Rückkehr in die Schweiz, wo sie Klara besuchen kommt und – oh Wunder – plötzlich wieder laufen lernt. Friede, Freude, Eierkuchen? Es ist schwierig, bei diesen narrativen Eckpunkten das Abgleiten in den Alpenkitsch zu vermeiden.

Heidi singt sich in dieHerzen des Publikums

Und doch gelingt gerade dies den Sängern und Schauspielern des Stadttheaters Brünn geradezu meisterhaft. Das Heer der Hausbediensteten in Sesemanns Villa legt einen begnadeten Geistertanz und Wiener Walzer nach dem anderen aufs Parkett, die strenge Erzieherin Fräulein Rottenmeier (herrlich: Stefania Seculin) rollt köstlich die Augen, Heidi springt, schaukelt und singt sich ohnehin in die Herzen der Zuschauer und Peter (grandios: Janik Delsch) umschifft jede Untiefe des schmalzigen Heimatromans durch seine Situationskomik: Da kann es schon mal passieren, dass er seine Holzziegen auf Rädern schwungvoll über die Bühne schubst.

Die Botschaft von Johanna Spyris „Heidi“ in der Brünner Inszenierung hallt noch lange im Großen Haus des Ingolstädter Theaters nach: „Komm, wir reichen uns die Hände, dann ist keiner mehr allein“ singen alle 23 Darsteller in der Ensembleszene am Schluss und das Publikum klatscht begeistert mit. Menschliche Solidarität ist ja so wichtig in diesen dunklen Zeiten. „Heidi“ kann uns zumindest 150 Minuten lang in dieser Illusion wiegen.

DK


Weitere Vorstellungen am 5. und 6. Januar. Kartentelefon: (0841) 305 47200.