Irsching
Harfenrohre und Toträume

Der TÜV prüft wieder einmal im Irschinger Uniper-Kraftwerk – Dieses Mal die Dampfkessel in Block 5

10.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:22 Uhr

Viele Meter hoch und ein Leben lang mitten im Dampf: die sogenannten Harfenrohre in einem der beiden Dampfkessel von Block 5. Fotos: Konze

Irgendwie ist es wie in der Schule, wenn der Lehrer die Hausaufgabe kontrolliert. Findet er was? Wenn ja: Ist es arg schlimm? Aber während in dieser imaginären Szene der Schüler Schuld ist, wenn der Lehrer die Augenbrauen hochzieht, ist es im Uniper-Kraftwerk in Irsching ganz anders. Da wird derzeit geprüft, weil es alle wollen. Die Regierung von Oberbayern, der TÜV und natürlich der Betreiber des Kraftwerks. In Block 5 checkt Otto Lopian vom TÜV Ingolstadt momentan die zwei Dampfkessel.

Klingt überschaubar, ist es aber nicht. Ein Rundgang zeigt: Überall sind – in oder bei den Dampfkesseln – normale Rohre, Harfenrohre, Sammler, Leitungen, Ventile, Besichtigungsstutzen, Toträume, Sternverteiler, Dampftrommeln. Auf manchen Rohren finden sich Kreide-Hinweise – mitunter von vergangenen Checks. Im Kessel stehen Gerüste, die Teil für Teil durch kleine Luken hinein und später wieder hinaus geschafft werden. Durch diese Luken schlüpfen oder gleiten übrigens auch die Personen, die dort im Rahmen der Prüfungen arbeiten.

„So etwas könnte den Kraftwerks-Block zerstören“

Der Regisseur in diesem Bild aus zerlegtem, zersägtem, geschweißtem, abisoliertem, angebohrtem oder zur Seite gelegtem Material ist Otto Lopian. Er ist beim TÜV Süd in München „Sachverständiger Druck“ in der Abteilung Anlagensicherheit und sitzt in der Zweigstelle Ingolstadt: „Hier im Kraftwerk geht es um Arbeiten im Rahmen der Betriebssicherheitsverordnung, die die Anforderungen an sogenannte ,überwachungsbedürftige’ Anlagen regelt.“ Lopian lässt auch nicht unerwähnt, warum der TÜV Süd da der richtige Partner ist: „Unser Unternehmen wurde vor über 150 Jahren als Dampfkessel-Revisionsverein gegründet.“

Wie wichtig diese regelmäßigen Prüfungen sind, verdeutlicht Oliver Schwadtke, Leiter des Kraftwerks Irsching: „Hier herrschen Drücke bis 200 Bar, Temperaturen bis 600 Grad. Wenn da eine Rohrleitung versagt, also bricht, gibt es eine tausendfache Volumenvergrößerung. Da wäre der ganze Block ein Gar-Topf. Man stelle sich vor, was passiert, wenn es einen Druckkochtopf mit 0,5 Bar zerreißt. 200 Bar Druck im Dampfkessel – das will man sich nicht vorstellen. So etwas könnte einen Kraftwerks-Block total zerstören.“

Suche mit Endoskopie und Röntgenstrahlen

Und wie schaut es aus? Gut. Ein Rohr wurde endoskopiert, wobei die Deformation des Innenrohrs, auch Schutzhemd genannt, festgestellt wurde. Deshalb wird es nach dem Abisolieren mittels Ultraschalls von außen nach Schäden abgesucht. Die Dampfkessel sind okay.

Bedenklich wäre für den TÜV-Prüfer, wenn es einen der vielen Stutzen wegreißt. „Steht da einer daneben, wird es für ihn richtig gefährlich.“ So wird pro Prüfung ein Drittel aller Stutzen gecheckt. 176 pro Ebene ergeben gut 350. Dieses Mal werden laut Lopian rund 30 Stutzen getauscht – wegen des Befunds aus früheren Prüfungen. „Da passt was vom Werkstoff nicht“, so Lopian.

Die Besichtigungsstutzen werden zum Teil aber auch aufgeschnitten, um mit der Endoskopie-Kamera in die Rohre schauen zu können. Danach werden sie mehrlagig zugeschweißt. Ehe der Betrieb anläuft, werden die Schweißnähte „durchleuchtet“, um Bläschenbildung und somit eine Schwachstelle zu erkennen. Und es gibt natürlich vorab auch eine Druckprobe.

Der TÜV setzt sich bei so einer Prüfung sozusagen ins gemachte Nest. Der Betreiber stellt die Anlage zur Verfügung, er muss sich auch darum kümmern, dass Gerüstbauer, Schlosser, Schweißer, Isolierer zur Stelle sind, wenn der TÜV startet. Der Betreiber beauftragt auch den TÜV. „Es bleiben keine Schlupflöcher“, so Schwadtke. Die Regierung von Oberbayern kontrolliert auch, ob die Prüfungen wie vorgeschrieben durchgeführt werden. Immerhin ist das Kraftwerk Irsching (Lopian: „Eine sichere Anlage“) als systemrelevant eingestuft.

Vier Wochen dauert die Prüfung in Block 5, der TÜV braucht für die zwei Kessel sechs Tage. Heuer ist es ein kleiner Check (innere Kesselprüfung), der alle drei Jahre stattfindet. Alle neun Jahre erfolgt eine große Prüfung, bei der die Druckprobe im Fokus steht.

Während Block 4 nach seinem Stillstand seit dieser Woche wieder Strom ins Netz einspeist, dauert es in Block 5 noch. Wenn Lopian seine Arbeit beendet hat, muss Vieles erst abgebaut werden, zum Beispiel Gerüste. Auf dem Dach des Blocks wird noch der Schalldämpfer getauscht (der reduziert bei Abdampf-Tätigkeit die Geräusche). Und nebenan wächst Block 6.

DK